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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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geeicht war und die Bemerkung als Kompliment nehmen würde. Ich konnte nur hoffen, dass ihre natürliche Gier bald wieder von ihr Besitz ergreifen würde. Ich war die Dünne von uns beiden.
    Lizbet verdrehte die Augen und sagte: »Weil ich sie in letzter Zeit kaum gesehen habe.«
    Ich lächelte. Lizbet hatte also endlich begriffen, wie man unserer Mutter etwas beibringt. Genauso, wie Eltern ihrem Kleinkind etwas beibringen. Man reagierte auf jedes erwünschte Verhalten mit großem Lob und viel Aufmerksamkeit; auf unerwünschtes Verhalten (Unhöflichkeit, Frechheit, Geprotze) reagierte man mit Liebesentzug und Ignoranz. Es war wichtig, dass unsere Mutter diesen grundlegenden Bezug selbst herstellte. Ein ausgesprochener Tadel würde fast sicher zu einer Häufung unerwünschter Verhaltensweisen führen.
    »Was ist mit dir?«, fragte Lizbet. »Ich habe gehört, du beehrst sie zurzeit öfter mit deiner Anwesenheit.«
    »Die Freitagabende sind in Ordnung«, sagte ich. »Ich esse, bevor ich hingehe. Ich finde es nett, Tim zu sehen. Und Daddy. Vor allem wenn ich im Gericht war und meinen Auftritt hatte. Es ist schön, nicht im Rampenlicht zu stehen.«
    »Oh«, sagte Lizbet. »Sie hat sowieso immer Respekt vor dir. Sie erzählt oft von deinem Haus. Geld beeindruckt sie. Du kannst machen, was du willst.« Sie parodierte Mummy. »› Wo warst du? Davon habe ich noch nie gehört.‹ Punkt Punkt Punkt. ›Wo ist das?‹«

    Ich lächelte. »Total scharf darauf, den Namen des Restaurants zu notieren, damit Daddy einen Tisch reservieren kann.«
    Wir verstummten kurz. Wir wussten beide, dass Mummy sich mir gegenüber anders verhielt als ihr gegenüber, aber das sprachen wir nie aus. Eine geteilte Gemeinheit belebt wie eine kalte Dusche, trotzdem war es eigenartig, Lizbet schlecht über unsere Mutter sprechen zu hören. Ich hatte meine Schwester immer als nachsichtigen, ehrbaren Gutmenschen gesehen. Wenn man ein ganzes Leben eng mit jemandem verbunden war, hat man eine feste Meinung über diesen Menschen - die Erkenntnis, dass er schroff sein kann, ist da ein Schock. Mir war sie lieber so, wie sie früher gewesen war.
    Früher war sie witziger gewesen. Sie konnte über sich lachen und erzählte ständig Anekdoten, in denen sie schlecht wegkam - ach ja, sie war im Supermarkt, und die Rolle mit Küchenpapier purzelte aus dem Einkaufswagen, woraufhin eine andere Kundin ihrer Freundin zurief: »Warte! Ich hebe der Dame NUR SCHNELL DAS KLOPAPIER AUF!« Und Lizbet biss die Zähne zusammen und dachte: Nicht Klopapier - Küchen papier! Küchen papier!
    Oder wie damals, als der Klempner kam, der einen kleinen Jungen von neun Monaten hatte, wie Lizbet wusste. Und weil ihr der Name nicht einfallen wollte, fragte sie ihn: »Und wie steht’s mit Ihrem kleinen Mann?« Noch während sie es aussprach, begriff sie, dass es sich anhörte, als würde sie sich nach seinem Penis erkundigen.
    Inzwischen erzählte sie keine solchen Geschichten mehr. Sie biss sich permanent auf die Zunge.
    Wenigstens begriff ich, als ich Lizbets Veränderung sah, dass ich immer ziemlich streng zu Mummy gewesen war.
Erst jetzt wurde mir klar, wie streng. Unsere Mutter hatte es nicht leicht gehabt. Sie war nach zwanzig Jahren bei Mother & Home rausgeflogen. Die Verlagsleitung hatte ihr die Chefredaktion der Motorradzeitschrift Fast Bikes angeboten (mit anderen Worten, einen Höllenritt). Sie war lieber arbeitslos geworden - sie war fünfzig, auf eine Harley würde sie bestimmt nicht mehr steigen. Sie hatten ihr ein goldenes Armband geschenkt. Als sie es schätzen ließ, um es bei der Versicherung anzugeben, hatte man ihr eröffnet, dass es zu billig sei, um versichert zu werden.
    Als Mutter war sie lausig, aber als Chefredakteurin war sie vorbildlich. Sie liebte ihre Arbeit - obwohl die Prinzipien der Zeitschrift in direktem Widerspruch zu ihren eigenen standen -, was sie zu einem umgänglicheren Menschen machte. Ich glaube ehrlich, dass wir nur irgendwo in unserem Leben glücklich sein müssen, damit wir den Rest einigermaßen überzeugend zusammenhalten können.
    Mother & Home veröffentlichte seitenweise hoch komplizierte Rezepte für ein ausgewogenes Kinderfrühstück; ich erinnere mich vor allem an die Käse-Pompoms, denn unsere Mutter beglückte uns damals mit einer ausführlichen Schilderung ihres Kampfes gegen den Schlussredakteur, ob man Käsepompoms nicht besser in einem Wort schreiben sollte. Unser eigenes Frühstück bestand zu der Zeit aus Fruchtnektar mit

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