Meine Schwester und andere Katastrophen
beobachtet. Ein geiler Nervenkitzel - ehrlich gesagt genauso, wie wenn ich vor Gericht den gegnerischen Anwalt austrickse. Ich hatte Lizbet statt George dabei, aber sie hatte keinen Spaß am Tauchen. Sie hatte Probleme beim Druckausgleich. »Ich bin einfach keine Taucherin«, sagte sie. »Ich glaube, selbst wenn ich nicht diese beschissenen Ohrenschmerzen bekäme, würde ich fünf Meter unter Wasser immer nur denken: O Gott, ich bin fünf Meter unter Wasser, Panik, nichts wie nach oben, und dann würden Luftbläschen in meinen Kreislauf geraten und ich müsste sterben.«
Ich legte den Skikatalog zur Seite. Ich hatte keine Lust auf New York, und allein die Vorstellung, tauchen zu gehen, erschien mir anstrengend. Stattdessen dachte ich daran,
wie meine Schwester - sie würde immer meine Schwester bleiben - auf dem Tauchboot in der Sonne gelegen hatte, lächelnd und mit halb geschlossenen Augen REM hörend, während ich mich rückwärts ins Wasser fallen ließ. Ich war ein Nervenbündel und gleichzeitig lustlos.
Menschen zu lieben liegt mir nicht wirklich. Ich bin nicht besonders gut darin. Lizbet machte mal eine Phase durch, während der sie sich bei unseren Telefonaten immer mit »Ich liebe dich« verabschiedete. »Ich dich auch«, murmelte ich regelmäßig verlegen. Einmal sagte sie »Ich liebe dich«, ohne dass ich es hörte, woraufhin sie indigniert wiederholte: »Ich habe gesagt: ›Ich liebe dich!‹ « »Ich liebe dich auch!«, erwiderte ich, aber ich kochte vor Wut . Wie konnte sie es wagen, diese Worte aus mir herauszupressen? Es sollte verboten sein, »Ich liebe dich« zu sagen, um eine identische Reaktion zu erzwingen. Danach hatte sie es nicht mehr zu mir gesagt, aber einmal hatte sie sich darüber lustig gemacht, als wir mit Tim und George aus waren. »Ach«, sagte sie, »Cassie kann Liebe nicht mal buchstabieren .« Das stimmte. Wenn ich, was selten genug vorkam, das Wort in einer E-Mail tippte, kam immer »Leibe« heraus. Ich ließ es so stehen. Die Leute wussten schon, was ich meinte.
Es läutete, und ich kniff die Augen zusammen. Dann linste ich durch den Spion und sah meine Schwester mit einem Strauß Narzissen vor der Tür stehen.
»Es tut mir so leid«, sagte Lizbet, als ich die Tür aufriss. »Es tut mir so schrecklich leid. Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Das war wirklich schrecklich von mir. Ich habe mich furchtbar verhalten.«
»Ach, vergiss es, ich mich auch«, sagte ich. »Mir tut es auch leid. Gurkenkaltschale?«
»Verzeihung?«
»Nein, warte. Äh, Daunenbettdecke?«
»Was?«
»O nein, warte! Lollipop!«
»Lollipop!«, erwiderte Lizbet.
Es war die förmliche Verkündung eines sofortigen Waffenstillstands. Wir besiegelten den Friedensvertrag mit einer vorsichtigen Umarmung.
KAPITEL 18
Lizbet und ich platzierten uns aufs Sofa und futterten geröstete Sojabohnen - ihre neueste Version von Spaß haben. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser neuen Lizbet umgehen sollte, und vielleicht wusste sie nicht, wie sie mit mir umgehen sollte, denn weil sich keine echte Wärme einstellen wollte, behalfen wir uns damit, über unsere Mutter zu lästern, die wir Weihnachten besucht hatten.
Mummys erste Bemerkung: »Ach, Lizbet hat ihre Haare abgeschnitten!« Lizbet hatte mit einem schiefen Lächeln vor ihr gestanden, ohne dass ein weiterer Kommentar gefolgt wäre. Unsere Mutter hatte auch die Angewohnheit, die Wohnung anderer Leute zu betreten und zu verkünden: »Es riecht grässlich hier drin!« Einmal hatte Lizbet eine Jo Malone -Duftkerze angezündet - »Ich hätte genauso gut Pfundnoten abfackeln können« -, während sie Mummy erwartete. Unsere Mutter war in der Tür stehen geblieben, hatte die Kerze erblickt und ausgerufen: »Hier drin herrscht ja eine unerträgliche Hitze!« Wir haben ihr nie klargemacht, dass es in ihrem Haus kalt war wie im Gefrierfach und dass wir, als sie in die Wechseljahre kam, Angst hatten, die Temperaturen könnten noch weiter absinken und unser Vater könnte in seinem eigenen Wohnzimmer festfrieren.
»Sie hat sich in letzter Zeit gebessert«, sagte Lizbet. »Wenigstens mir gegenüber.«
»Und warum?«, fragte ich - ohne mein Hirn einzuschalten. Lizbet war nach dem Tod ihres Babys am Ende, aber sie wollte nicht darüber sprechen, obwohl mir alles an ihrem Aussehen und Verhalten verriet, dass sie das brauchte, selbst wenn sie es nicht wusste. Ich hätte fast gesagt: »Du bist zu dünn«, tat es aber nicht, weil ich wusste, dass sie auf Widerspruch
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