Meine Schwester und andere Katastrophen
gefragt.
Barnaby hatte mich mit großen Augen angesehen und erklärt: »Eine solche Vorgehensweise würde ich ihr keinesfalls anraten. Wenn sie allerdings zufällig an den Mülltonnen vorbeikäme und …«
Ich hatte getobt und gezetert, weil mir klar war, dass Barnaby mich aufs Kreuz gelegt hatte (wenn es nur so wäre).
Jeder, mich eingeschlossen, hatte Hubert verdächtigt, Vermögenswerte geheim zu halten. Ein anständiger Richter würde anerkennen müssen, dass Alissa keine Wahl hatte, als die Dokumente zu stehlen.
»Tut mir wirklich leid«, hatte Barnaby gemurmelt. »Ich weiß, das kommt ein bisschen plötzlich. Aber meine Mandantin hat mir die Informationen gerade erst übergeben.«
Jetzt, im Hier und Jetzt, suchte ich mit Blicken sein Gesicht ab. Lachte er etwa über mich? Ich war mir nicht sicher. »Na?«, fragte ich und packte dabei in diese eine Silbe allen Sarkasmus, den ich aufbringen konnte. »Hast du in letzter Zeit irgendwelche Kuchen gebacken?«
»Kuchen?«, fragte Barnaby. »Ich habe letzte Woche tatsächlich meiner Mutter einen Vanillekäsekuchen zum Geburtstag gebacken. Und einen Strudel. Woher weißt du das?«
»Ich hab’s geraten.« Ich ballte die Faust und sah im Geist, wie Barnaby nackt Sahne schlug - halt, heb dir das für später auf …
»Und wer ist das hier?«
Lizbets leuchtende Saufnase schob sich zwischen uns.
»Oh, hi.« Beide warteten gespannt, darum ergänzte ich widerwillig: »Lizbet, meine Schwester. Barnaby -« Ich wollte schon sagen: »Anwaltskollege, bedeutender Autor, Cambridge-Ruderer, Philantrop«, aber mein Hirn verweigerte bei »Philantrop« den Sprung über die Hürde, sodass etwas ganz anderes aus meinem Mund kam: »Angeber.«
»Ein Freund von Cassie«, sagte Lizbet.
»Ein Kollege!«, betonte ich.
Sie sah ihn nachdenklich an, und mein Herz setzte aus. Ich hatte ihn bestimmt noch nie erwähnt. Es war schon öfter vorgekommen, dass Lizbet eine Ausgabe von heat hochgehoben,
auf der ein Foto von, sagen wir, Benicio Del Toro zu sehen war, und gefragt hatte: »Ja? Ja?«
Sie blökte ihre jugendfreien Phantasien gern in die Welt hinaus, sogar wenn Tim dabei war, und ich erwiderte regelmäßig etwas wie: »Äh, Harrison Ford war nett in, äh, Witness .« Ernsthaftere Phantasien blieben jedoch unausgesprochen.
»Ich hab deinen Namen bestimmt schon mal gehört«, krähte Lizbet. »Bestimmt hat dich Cassie irgendwann erwähnt. Ach ja, warte, du bist der Typ, dem sie das erste Mal begegnet ist, als sie eine Freundin im College besuchen war. Ihr wart beschwipst und habt miteinander geknutscht, und dann bist du wie Cinderella verschwunden und erst drei Jahre später in Exeter vor Gericht wieder aufgetaucht, und seither hasst sie dich!«
»Elizabeth!«, ermahnte ich sie. »Du solltest endlich deine Gehirnoperation vornehmen lassen.«
»Erzählst du oft von mir?«, fragte Barnaby.
»Nie«, sagte ich. »Ich weiß, woher sie dich kennt. Bestimmt hat sie deine Bücher gelesen. Haha!«
»Du schreibst also auch!«, jubelte Lizbet und taumelte einen Schritt auf ihn zu. »O Gott, ich auch! Wo willst du gerade hin? Du musst uns Gesellschaft leisten!«
Barnaby sah mit großer Geste auf seine Uhr. Es war eine Taucheruhr, weil es in London, wie jeder weiß, unzählige Möglichkeiten zum Tauchen gibt.
»Was ist denn?«, fragte ich. » Emergency Room fängt doch erst um neun an.«
»Schon«, sagte er, »aber um acht läuft Grey’s Anatomy. «
Machte er Witze? Warum lächelte er nicht mal und gab mir einen Hinweis? Ich donnerte voraus an unseren Tisch. Barnaby und Lizbet balzten hinter mir aneinander rum. (Barnaby: »Echt geiles Kleid. Givenchy, stimmt’s?« Lizbet: »O mein Gott …« usw.)
George war Barnaby noch nie begegnet, begrüßte ihn aber in einer Anwandlung untypischer Intuition so herzlich, wie man einen halb verwesten Hyänenkadaver an seinem Tisch begrüßen würde.
Tim war leutselig wie immer. Im Unterschied zu meinem eigenen geliebten Gemahl biss Tim erst, wenn er gebissen wurde. Seine Beziehung zu Lizbet war so gluckenhaft, dass niemand ihn als Bedrohung wahrnahm, nicht einmal Mr Superpenis. Tim war, genau wie ich, robust. Er behielt auch nach einem Schlag seine Form.
Ich seufzte. Mit Barnaby zu arbeiten war schwierig. Bis dahin hatte ich ihn gemieden. Wenn ich ihm irgendwann irgendwo in der Anwaltskammer begegnete, schoss ich schnell und smart an ihm vorbei. Ich hatte Angst, dass man mich nur zwei Sekunden mit ihm zusammen sehen musste, und schon würde
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