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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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das gestreifte, das graue und das für besondere Anlässe, alle in
Sackform, alle in Englischwetter-Farbtönen, alle aus dem Katalog von NEXT, weil es ihr zu viel Mühe macht, wirklich aus dem Haus und in ein Kaufhaus zu gehen. Dafür bekomme ich regelmäßig zu hören, sobald sie mich in irgendwas sieht: »Wo hast du das her? Das könnte ich mir kaufen.«
    Sie trug ein trägerloses gelbes Kleid. »Givenchy!«, strahlte sie mich an und setzte sich.
    »Gesundheit!«, erwiderte ich.
    Sie gefiel sich so gut, dass sich mein Herz vor Liebe und Schmerz zusammenkrampfte. Ich musste an etwas denken, was meine Chefin Sophie Hazel Hamilton tags zuvor erzählt hatte.
    Sophie hatte neulich einen freien Tag gehabt und eines ihrer Kinder aus dem Kindergarten in Chelsea abgeholt. Sie war auf den Spielplatz marschiert und hatte gesehen, dass ihr Sohn die Winterpelzmütze mit den Ohrenklappen aufgesetzt hatte, die sie ihm im Vorjahr gekauft hatte, weil sie so niedlich war. Inzwischen war sie allerdings eine Nummer zu klein und thronte hoch auf seinem Kopf. »Er sah so albern aus«, gestand sie mir verschämt. Dann meinte sie noch: »Er war das einzige Kind mit einer so albernen Mütze.« Besonders schmerzte es sie, dass er nicht einmal wusste, dass er so albern aussah. Vor allem seine Unschuld tat ihr weh. Sie hatte ihm die Mütze vom Kopf gezerrt und in ihre Tasche gestopft.
    Ich empfand ganz ähnlich, als ich Lizbet in ihrem Givenchy-Kleid sah. Ihr erster Erkundungszug in die Haute Couture war ein Desaster. Das Kleid hatte BH-Schalen aus knallgelber Seide, gelbe Streifen an der Taille, die einen Miedereffekt bewirken sollten, und über dem gelben Stiftrock einen Schleier, der nach weißem Seidenpapier aussah. Außerdem war es mit zwei hässlichen, gelb-weiß gerüschten Klappen versehen, die über beiden Hüften herausstanden. Sie sah aus
wie ein Stück Zitronentorte. Traurigerweise konnte ich ihr das Kleid nicht vom Leib zerren und es in meine Tasche stopfen.
    »Süße«, sagte ich, »du bist viel zu hübsch für dieses Kleid. So ist das Kleid die Attraktion, es ist ein Kleid für eine Frau mit einem Gesicht wie ein alter Stiefel. Du brauchst Schlichtheit - Prada, Donna Karan -, du brauchst ein dezentes Design, das dein Gesicht und deine Figur zum Star der Show macht.«
    »Ach ja?«, fragte Lizbet. »Meinst du wirklich?«
    Sie sah verstört aus, und ich wünschte, dass sie einfach nur zuhören würde, statt jeden Kommentar durch das verunsicherte Selbst ihrer Kindheit zu filtern. Falls irgendwer eine Meinung äußerte, die sie oder ihr Verhalten in Frage stellte, fiel sie sofort in den »Offizielles-Dokument-Zustell-Modus«, wie ich es nannte. Sie ignorierte das Kleingedruckte - jene Passagen, auf die es wirklich ankam - und nahm nur eine große Aussage wahr: Ich hatte ihr Aussehen kritisiert.
    Tim küsste mich zur Begrüßung. Er war normal gekleidet. Ich fragte mich, ob er seiner Freundin den Tipp gegeben hatte, dass ihr dieses Kleid nicht stand. Wahrscheinlich nicht. Er war so verliebt, dass er keinen Fehler an ihr erkennen konnte. Leider war die Welt um sie herum nicht so nachsichtig, weshalb ich das Gefühl hatte, dass Tim verpflichtet gewesen wäre zu verhindern, dass Lizbet sich in aller Öffentlichkeit zum Narren machte. Seine Bewunderung machte ihn nachlässig. Ich wurde immer wütender, dabei hatten wir noch nicht mal was zu trinken bestellt. Irgendwann im Verlauf des Abends kam es normalerweise regelmäßig dazu, dass Tim anfing, den Hals meiner Schwester zu beknabbern. Ich finde es schrecklich, wenn Menschen aneinander knabbern. Pferde knabbern.

    Ich gab mir Mühe, nicht allzu auffällig hinzusehen, aber ich sah sehr wohl hin. Tim wirkte zerstreut, und Lizbets Mund war auffällig schmal - obwohl sie womöglich nur versuchte, das Zellweger-Schmollen hinzubekommen. Die Zellweger-Figur hatte sie jedenfalls schon erreicht.
    Normalerweise sehe ich gern zu, wenn sich zwei streiten, aber an diesem Abend erkannte ich, dass mir das Knabbern fehlte. Um die beiden in Stimmung zu bringen, erzählte ich Lizbet und Tim von einer Wette mit einer anderen Anwältin (Sophie, um genau zu sein), dass sie es nicht schaffen würde, das Wort »Knauf« in ihrem Protokoll unterzubringen. Natürlich hatte sie es geschafft - ich hatte das von Anfang an gewusst und die Flasche Taittinger Rosé schon im Voraus gekauft.
    Als Tim und Lizbet mit höflichem Haha reagierten, aber weiter auf Armeslänge Distanz hielten, gab ich es auf, sie durch

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