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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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ist, ganz gleich, was vorgefallen ist.«

    »Was ist denn mit dir?« Lizbet sah mich an. »Hast du eine Amerikanerin verschluckt?«
    »Lizbet«, sagte ich. »Der Mann vergöttert dich. Für euch beide war es ein extrem traumatisches Erlebnis und es ist ganz normal, wenn ihr euch aneinander reibt. Aber sei nicht zu hart zu ihm und lass nicht zu, dass eure Geschichte an eurem Stolz scheitert. Dazu ist sie zu kostbar.«
    »Er vergöttert mich?«, fragte sie und verstummte.
    »Ja!«, betonte ich mit neu gewonnenem Mut.
    Lizbet seufzte. »Es liegt nicht an mir, ob diese Beziehung endet oder nicht.« Sie stand mit wackligen Beinen auf. »Ich gehe schlafen.«
     
    Theoretisch hatte ich am folgenden Tag zu Hause arbeiten wollen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Lizbet schnarchte im Gästezimmer, und ich empfand die unerträgliche Frustration, die sich regelmäßig einstellt, wenn man alles daransetzt, dass andere Leute ihren Streit beilegen. Sie gab keinen Zentimeter nach. Was wiederum bedeutete, dass es mir überlassen blieb, die Beziehung zu neuem Leben zu erwecken. Unserem Ruf zum Trotz lassen wir Scheidungsanwälte unsere Mandanten nicht hilflos in ihre Taschentücher rotzen, während wir ihnen gleichzeitig das Geld aus der Tasche ziehen. Beim Familienrecht gibt es die Pflicht zur Mediation. Bevor wir vor Gericht gehen, sind wir verpflichtet, für unsere Mandanten eine Lösung auszuhandeln. Noch eine Woche vor der letzten Anhörung drängen wir beide Seiten, Vernunft anzunehmen, bevor sie ihr ganzes Geld für eine Gerichtsverhandlung aus dem Fenster werfen.
    Wir sind inoffizielle Therapeuten.
    (»Ich will diese Schlampe nicht sehen, mit der er jetzt zusammen ist …«

    »Warum verlegen Sie die Übergabe nicht in den McDonald’s in Neasden? Wir setzen eine Vereinbarung auf, und falls er sich nicht daran hält, machen wir eine gerichtliche Anordnung daraus!« So in der Art.)
    Falls irgendwer den Schlamassel zwischen Lizbet und Tim bereinigen konnte, dann ich.
    Ich zerrte den Kamm durch meine Haare, rutschte in den Mercedes und raste rüber.
    Tim öffnete in Boxershorts und weißem T-Shirt. Er wirkte nicht sauer, dass ich vor seiner Tür stand, aber auch nicht begeistert.
    »Hat sie dich geschickt?«, fragte er.
    Ich zögerte und schüttelte den Kopf.
    Er zuckte mit den Achseln. »Warum bist du hier?«
    Ich seufzte. »Weil -«
    Tim hob die Hand. »Auch egal. Du kannst ihr ganzes Zeug mitnehmen. Ihr Make-up ist noch im Badschrank, sogar das Moonshine von Benefit, das ich ihr gekauft habe. Ich glaube, es ist eine leicht changierende Grundierung - sie malt darauf. Und ihre Lieblingsstiefel, auch wenn sie nicht darin laufen kann. Und sie braucht ihr Kissen. Es ist flach. Auf einem dicken Kissen macht sie kein Auge zu. Ihr Hals muss auf einer Linie mit ihrem Rückgrat liegen.« Er holte kurz Luft. »Nicht dass mich irgendwas davon einen feuchten Scheiß interessieren würde.«
    »Nein.« Ich folgte ihm schnaufend nach oben. »Nein, ich sehe schon, sie ist dir völlig egal.« Dann brüllte ich: »Ti-im!«
    »Ja?«, fragte er.
    Ich atmete zweimal tief durch, um wieder zu Atem zu kommen. Mir war schwummrig.
    »Tim«, wiederholte ich und versuchte dabei das eklige neblige Gefühl in meinem Kopf zu durchdringen, »ich bin
vorbeigekommen, weil George und ich zwar …« Ich deutete auf meinen Bauch. »Unsere Beziehung ist tot. Ehrlich, wir sind beide anständige Menschen - also, zumindest bin ich einer -, aber wir mögen einander nicht. Wir sind keine Freunde. Ich finde ihn nicht attraktiv. Wenn er mich küsst, riecht die Luft in seiner Nase komisch. Alles, was er tut, regt mich auf. Sein Kiefer knackt, wenn er kaut. Er isst die Äpfel bis zum Stiel. Nie dreht er den Wasserhahn richtig zu. Er spricht Aprikose › Ap -rikose‹ aus. Er spricht isst wie ›iest‹ aus. Er schleicht ins Zimmer und steht ganz plötzlich hinter -«
    Tim hatte aufgehört, in Lizbets Schuhschrank zu wühlen, und sah mich neugierig an. Aus seinen Shorts ragte vorn ein winziges Stückchen rosa Pimmel, aber ich wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen, indem ich ihn darauf hinwies.
    »Jedenfalls«, sagte ich, »will ich damit sagen, dass ihr ganz anders seid als wir. Ihr habt eine lebensfähige Beziehung. Ihr habt eine scheißgeniale Beziehung. Ihr beide seid echt cool zusammen. Euch verbinden Leidenschaft und Respekt, Liebe, Lachen und Bewunderung. Man kann euch darum beneiden. Aber ich glaube, all das wurde unter dem Schmerz begraben, den ihr über

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