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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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ausländische machte sich dünne, als er die Bescherung sah, und kam erst wieder, als ein günstigerer Wind für ihn wehte) konnte nicht einfach einen auf Rockstar machen. Ihm war untersagt, sein Publikum von oben herab zu behandeln, Geld zu machen, Models zu vögeln, ins Fernsehen zu gehen, Autogramme zu geben.
    Musik war politisch, sie musste für etwas einstehen, durfte sich nicht gemein machen oder sich die Syphilis des Erfolgs holen.
    In den Jahren damals war es richtig hart, auf die Bühne zu gehen.
    Aber Anfang der Achtzigerjahre ging es damit zu Ende.
    Das Verblüffende an dieser Entwicklung war zweierlei: Erstens die fast schon hightechmäßige Geschwindigkeit, mit der sich dieses Ende vollzog. Und zweitens die Diskretion, mit der es sich vollzog.
    Ohne jede Vorwarnung, stillschweigend – so dass man den Eindruck hatte, zu dem Ergebnis wäre es ganz ohne Zutun der Protagonisten gekommen. (Die waren nämlich immer noch unterwegs, trafen sich, schlossen sich zusammen, hauten auf den Pudding und dachten, sie seien noch lebendig, dabei waren sie längst hinüber.)
    Auf Konzerten praktizierte man die automatische Ermäßigung eine Zeit lang, aber man sah schon klar, dass es jetzt, nachdem die Gewaltbereiten angefangen hatten, die Tore der Stadien oder der Theater einzuschlagen, um reinzukommen, kein Schwein mehr interessierte, dass es jetzt auch Publikum gab, das mit den Händen debattierte und zu handfesteren Mitteln griff, um eine oppositionelle Sicht von Pop-Kunst durchzudrücken.
    Damit hatte die Botschaft der automatischen Ermäßigung quasi über Nacht ihre kritische Sprengkraft eingebüßt und war unbewusst und paradoxerweise zu einem Plädoyer für Kostenlosigkeit zum Selbstzweck geworden.
    Als diejenigen, die sie im guten Glauben an den politischen Akt weiterpraktizierten, im Stadion oder im Theater drin waren, mussten sie feststellen, dass es das anwesende Publikum einen Dreck interessierte, ob sie rechtzeitig oder nach Beginn der Vorstellung eingedrungen waren (›Okay‹, schienen die Zuschauer im Parkett zu sagen, ›die haben euch umsonst reingelassen? Jetzt gebt aber Ruhe, wir wollen die Vorstellung sehen!‹).
    Die Musiker unterbrachen kurz ihr Spiel, damit die nunmehr abgehalfterten Rebellen reinkommen konnten, dann machten sie wie nach einer Werbepause weiter.
    Es war wirklich und ehrlich deprimierend, ein live erlebbarer Sinnverlust, ein dramatischer Vorgeschmack auf den bereits ins Rollen gekommenen, unaufhaltsamen Niedergang.
    Ich erinnere mich noch an ein Konzert von Area – Demetrio Stratos war schon tot und die Gruppe hatte sich inzwischen auf Jazz-Rock verlegt (damit gingen sie einem nach einer Weile gehörig auf den Wecker).
    Bei dem Konzert ließ eine Bande von selbstbestimmten Preisermäßigern draußen vor dem Stadion einen monströsen Sprengkörper los. Der Knall war so gewaltig, dass die Musiker einander anschauten und zu spielen aufhörten. (Wir drinnen waren eher sprachlos als beunruhigt.)
    Nach ein paar Minuten stand Giulio Capiozzo vom Schlagzeug auf und trat ans Mikrofon.
    »Wir wüssten gern, was passiert ist«, sagte er.
    Einfach so.
    Nur das.
    Eine Frage, die keine Spur rhetorisch war, sondern in ihrer Schlichtheit eine peinliche Offenlegung der Sachlage bedeutete.
    Der Umstand, dass man sich angesichts einer Explosion draußen vor dem Stadion während eines Konzerts fragte, was los war, zeigte, dass eine Phase zu Ende war, dass eine politische und als solche nicht mehr erkennbare Geste ihre Zündkraft verloren hatte. Ein paar Jahre früher hätte man daraus noch selbstverständlich geschlossen, dass sich gerade ein Umsturz abspielte.
    Der Ordnungsdienst fackelte nicht lang und ließ die Sprengkörperrebellen rein.
    Innerhalb von vier, fünf Minuten war alles erledigt.
    »Wenn die Knallerei vorbei ist, spielen wir weiter«, verkündete Capiozzo ein wenig genervt und nahm dann ruhig wieder auf seinem Hocker Platz.
    Das Konzert ging weiter, und die Bombenleger (ein knappes Dutzend Leute) gelangten zu den freien Plätzen auf den ersten Stufen hinterm Absperrgitter um den Rasen.
    Als Area wieder am Spielen war, stimmten die Sprengkörperwerfer den alten Schlachtruf an: ›Autonomia operaia | Organisation | bewaffneter | Kampf | Revo-lu-tion‹ .
    Der Effekt war furchtbar peinlich.
    Einmal, weil sie es nicht im Mindesten schafften, sich in die laufende Musik einzumischen (dabei machte der Jazz-Rock nicht mal sooo großen Krach), dann aber auch, weil sie nur eine Handvoll

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