Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
gesorgt hat. Hier müssen wir unserem Freund Malinconico dankbar sein, denn er hat einen Wertegrundsatz bekräftigt, mit dem wir alle einverstanden sein sollten: Prozesse gehören in die Gerichtssäle. Trotz aller Einschränkungen und Unvollkommenheiten gibt es für sie keinen besseren Platz.«
»Meinen Sie?«, schaltet sich nun polemisch Corona ein.
»Aber ja. Genau das meine ich«, bestätigt De Cataldo.
»Pah«, gibt Corona zurück und wirft wieder einen finsteren Blick in die Kamera (›Was haben dir die Kameras nur getan?‹, denke ich).
Mehr scheint er dazu nicht mehr sagen zu wollen; aber so gut wie umgehend kommt er auf die Frage zurück und fordert den Richter-Romancier erneut heraus (er zeigt sogar mit dem Finger auf ihn, das muss man sich mal vorstellen).
»Erzählen Sie das einem, der Geisel eines absurden Verfahrens gewesen ist, in dem er am Ende zudem noch freigesprochen wurde!«
»Nun, Corona«, antwortet De Cataldo ruhig, »die Tatsache, dass jemand am Ende freigesprochen wird, zeigt doch gerade, dass der Strafprozess keine Hexenverfolgung ist, sondern ein Verfahren, das einer ordnungsgemäßen Kontrolle unterliegt, meinen Sie nicht?«
»Vittorio«, spricht die Bignardi jetzt Sgarbi direkt an, noch ehe Corona darauf eingehen kann, »hat De Cataldo recht? Ist das italienische Volk in Befürworter der Selbstjustiz und Anhänger der Rechtsstaatlichkeit gespalten? Und wie erklärst du dir die übergroße Zustimmung der Gesamtbevölkerung für Rechtsanwalt Malinconico?«
»Tja«, schickt sich der Kritiker zu antworten an, wobei er auf dem Sessel herumrutscht, als sei er ihm unbequem, »ich meine, wir können die Supermarkt-Episode auch verstehen, ohne lang justizfreundliche Argumente bemühen zu müssen. Die dürften die Mehrzahl der Zuschauer ohnehin nicht sonderlich interessieren.«
»Ah, meinen Sie«, nickt Daria.
Als wollte sie sagen: ›Danke für die Auskunft, dass hier bisher noch nichts Interessantes gesagt wurde.‹
»Der Ingenieur mit seinen Henkerambitionen hatte im Grunde ein bilderstürmerisches Projekt vor«, argumentiert Sgarbi. »Diese Geiselnahme zum Zweck der Hinrichtung, vor den Augen eines Publikums, das zum Zuschauen praktisch verpflichtet war und nach dem Sinn der Aktion fragen musste, das wirkte fast wie eine Installation.«
Und hier malt er mit den Händen zwei imaginäre Halbmonde in die Luft, als ob er dem Bild eine Form geben wollte.
Alle (außer einem) nicken zustimmend.
Der Kritiker steckt unsere Aufmerksamkeit ein und fährt fort:
»Durch die Geiselnahme des vermeintlichen Schuldigen und die Absicht, diesem live und ohne Absicherung den Prozess zu machen, hat dieser verzweifelte Vater eine radikale Kritik am Justizsystem vorgebracht. Malinconico ist ihm mit intellektueller Konsequenz in die Parade gefahren: In gewisser Weise hat er, weil er für die Vorrangstellung des Gerichtsprozesses eingetreten ist, den Zusammensturz des Justizpalastes verhindert.«
Wir verharren alle in hoffnungsvoller Stille und schauen einander an, als wollten wir uns gegenseitig den Eindruck von Durchblick vermitteln.
»Malinconico?«, ruft mich die Bignardi schließlich auf.
»Hmm«, murmle ich.
»Was meinen Sie dazu?«
»Was meine ich wozu ?«
»Zu Sgarbis Interpretation.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie wirklich verstanden habe, aber sie hat mir gefallen.«
Gelächter-Applaus.
»Das ist ein gutes Zeichen«, kommentiert Sgarbi.
»Vielleicht kommt Ihnen die Frage provokant vor«, fragt die Moderatorin in ernsthaftem Ton nach, »aber Sie , Malinconico, auf welcher Seite haben Sie gestanden?«
»Wissen Sie, ich bin froh, dass Sie mich das fragen«, antworte ich keck, »ich weiß es in Wahrheit nämlich selber nicht.«
Fasziniert und zugleich zufrieden, lächelt die Bignardi mich an.
»Wenn man nämlich«, füge ich hinzu, »einen Mann in solch einer Verfassung wie den Ingenieur vor sich hat, ist es sehr schwer, sich nicht mit ihm solidarisch zu fühlen.«
Jetzt bekomme ich einen Applaus ohne Gelächter.
»Und sagen Sie, wird das verfilmt?«, fragt mich Ambra unerwartet.
»O, ich bitte Sie«, antworte ich.
»Wieso denn? In Italien werden laufend Spielfilme über aktuelle Ereignisse gedreht: warum also nicht auch über diese Geschichte?«
»Weil er dem Vergleich mit dem Original, das wir live gesehen haben, nicht standhalten würde«, wirft Corona ein.
»Da hast du recht, Fabrizio«, bestärkt ihn die Bignardi. »Aber nehmen wir an, ein Produzent will einen Film
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