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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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città ist nämlich ein neorealistischer Song. Und als solcher ein Prüfstein, weil er eine lebensechte Beschreibung der schimärenhaften Szenerie enthält, die beim verlassenen Mann fest im genetischen Code verankert ist.
    Wenn dich deine Frau gerade verlassen hat, kann dich Se bruciasse la città unmöglich kaltlassen.
    Wie ihr euch bestimmt erinnert, hat der Protagonist des Liedes vor kurzem erfahren, dass seine Ex im Mai heiraten wird (in den Songs heiratet man immer im Mai). Doch er will sich durch die Trümmer der durch eine unbestimmte Katastrophe verwüsteten Stadt schlagen, um sich wieder mit der Geliebten zu vereinen (die Liebe, die aus Trümmern neu ersteht: wer hat nicht schon mal, wenigstens in der Jugend, als er zum ersten Mal in die Wüste geschickt wurde, mit offenen Augen diese schöne Mär geträumt?).
    Hier der Refrain:
    Wenn in Flammen steht die Stadt
    zu dir
    zu dir
    will laufen ich zu dir
    selbst durchs Feuer will ich gehn, um dich wiederzusehn
    Wenn in Flammen steht die Stadt
    weiß ich
    weiß ich
    willst du doch finden mich
    Auch nach unsrem Abschied noch
    bin ich die große Liebe doch
    für dich
    Und wo er schon mal dabei ist, deutet der Träumer der Apokalypse gleich auch noch die bevorzugte Location für die Schäferstündchen der Ex-Liebenden an:
    Am Stadtrand dort das Wiesenstück
    sah uns so oft vereint im Glück
    Doch lange Zeit ist es jetzt her
    und glücklich sah es mich nie mehr
    Die Intima einer Beziehung – auch einer verflossenen – herumzuerzählen ist natürlich nicht gerade die feine Art, aber einem, dessen Mädchen demnächst einen anderen heiraten wird, könnte man solch einen stilistischen Ausrutscher vielleicht nachsehen, finde ich (und jedenfalls ist die Wahl der Wiese als Alkoven in vielen Volksliedern ein Klassiker, geradezu beispielhaft in dem Lied zur Weinlese L’uva fogarina , wo nach einer langen Reihe von ›Trallali-trallalas‹ hymnisch die Paarung ›mitten auf der Wiese‹ besungen wird).
    Kurzum: ich singe Se bruciasse la città noch einmal von Anfang bis Ende, aber es hilft nichts: Mich will einfach keine Traurigkeit ergreifen.
    Falls ihr es genau wissen wollt: Es ist sogar so, dass ich im Moment nicht einmal im Traum daran denke, Mailand in Brand zu setzen (weil sich derzeit Alessandra Persiano dort aufhält) und unschuldige Leben dranzugeben, nur um mich mit ihr auszusöhnen.
    Ich gebe es zwar nicht gern zu, aber Espe hat mich infiziert. Und mich beschleicht der Verdacht, dass mir dieser Virus sogar gefällt.
    Genau in dem Moment bekomme ich den Anruf, den ich besser nicht bekommen sollte. Ich weiß natürlich ganz genau, wer mich da anruft. So todsicher weiß ich es, dass ich mich kein bisschen wundere, als die Nummer auf dem Display erscheint.
    Wenn das so ist, dann kommt mir die Zukunft, zumindest die nähere, so vor, als würde genau das passieren, von dem ich mir am wenigsten wünsche, dass es passiert. Wenigstens theoretisch. Und irgendwie auch nur eigentlich.
    »Hallo?«
    »Herr Anwalt?«
    »Ja?«
    »Hier Irene«, sagt Cameron-Diaz-verrückt-nach-Mary.
    Ich schließe die Augen, atme tief durch und öffne sie vorsichtig wieder.
    »O, hallo! Entschuldigung, ich hatte Ihre Nummer nicht gespeichert.«
    »Macht nichts, ich wollte nur kurz mit Ihnen sprechen.«
    »Ah«, antworte ich, geschmeichelt. »Von wo aus rufen Sie an? Ich höre Geräusche um Sie herum.«
    »Ich bin mit Freunden in einem Lokal. Wir trinken was zusammen. Und Sie?«
    »Ich? Ich bin ganz einfach zu Hause.«
    Sie schweigt, als hätte ihr meine Antwort den Eindruck vermittelt, sie sei gerade äußerst indiskret gewesen. Im Hintergrund höre ich ein Gläsergeklingel, das mir große Lust auf eine Margarita macht.
    »Verzeihen Sie. Ich hätte Sie vielleicht nicht anrufen sollen.«
    »Neinnein, machen Sie sich keine Gedanken«, antworte ich in der Hoffnung, sie würde den leicht resignierten Seufzer wahrnehmen, den ich dabei in meine Stimme gelegt habe.
    ›Was tust du da bloß‹, sage ich zu mir.
    »Wissen Sie, ich bin so lange nicht mehr aus gewesen.«
    »Ach, wirklich?«
    »Ja. Ich wollte, dass Sie das erfahren. Es hat mir gutgetan, mit Ihnen zu reden.«
    »Das höre ich aber gern.«
    ›Das höre ich aber gern‹? Was rede ich denn da für einen Stuss?
    »Hören Sie, vielleicht ist es schon spät«, setzt Verrückt-nach-Mary-Diaz nochmal an, »aber ich habe mir gedacht, ich frage Sie, ob Sie nicht vielleicht Lust haben, dazuzukommen. Meine Freunde sind nett, die würden Ihnen bestimmt

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