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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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sie würde ihm gleich abgenommen, und vielleicht täte man wirklich gut daran, das auch zu tun), und alle schauen vor sich hin, als wollten sie dem Fotografen zu verstehen geben, dass er sich gefälligst beeilen soll, weil sie nichts mehr verabscheuen, als sich in Pose zu werfen.
    Während eine Stimme aus dem Off in einem fort den Namen der Band und das Datum des Konzerts wiederholt, keuchend und japsend vor Begeisterung, als ginge es darum, eine unmittelbar bevorstehende Marienerscheinung zu verkünden, wird nach einem der scheußlichsten Akronyme unserer Zeit (›Infoline‹) eine Handynummer eingeblendet, ebenso die Vorverkaufspreise.
    Rang 35 Euro, Parkett 50 Euro.
    Die Zahlen sind für mich ein echter Affront. Ich komme mir so was von anachronistisch vor. Mir ist zwar nicht neu, was Konzertkarten heutzutage kosten. Aber angesichts solcher Beispiele ergreift mich dann doch die Sehnsucht nach einer Zeit, in der es verdammt nochmal keiner Sau eingefallen wäre, für das Konzert einer Band mit derartig dünnen ästhetischen Ansprüchen dermaßen viel Geld zu verlangen.

Du wachst auf und merkst,
    dass du im Schlaf gestorben bist
    Anfang der Achtzigerjahre, vielleicht sogar genau 1980 , als die Politik ausgedient hatte (ich meine hier wohlgemerkt nicht die professionelle, sondern die autodidaktische Politik der Jugendbewegungen, mit einem Oppositionsgeist, der in der Verachtung von Politik, Massenmedien, Marktwirtschaft und Religion wurzelte) – damals jedenfalls konnte sich der automatisch ermäßigte Eintritt (der Mitte der Siebziger mit der Durchschlagskraft eines politischen Rechts durchgesetzt worden war) zu den Konzerten als Ergebnis einer Geisteshaltung noch eine kurze Zeit lang halten.
    Diese Geisteshaltung: Für Konzerte hat man nichts zu zahlen, weil es richtig ist, nichts zu zahlen wurde in ihrer Blütezeit notfalls auch mit Gewalt gelebt (und wenn der Ordnungsdienst versuchte, seine Arbeit zu machen und sich dem Diktat widersetzte, wurde schon mal blindlings drauflosgeprügelt).
    Wenn du in diesen Jahren nach dem Warum fragtest, standest du ganz schön blöd da (erst wurdest du geschnitten oder kriegtest Sprüche zu hören wie: ›Da liegst du aber falsch‹, ›Mach dir nicht immer so ’nen Kopf‹ (Letzteres gleichauf mit ›Das hält man ja im Kopf nicht aus‹, ›Hör endlich auf mit dem Scheiß‹, ›Du machst uns noch ganz verrückt‹); und dann wurdest du mindestens ein Semester lang als lebensfremder Milchbubi verarscht, so als hättest du in der Abiprüfung Addition und Subtraktion verwechselt; oder bestenfalls kriegtest du zu hören, du wärst unpolitisch (in dem Fall wurdest du ausgepfiffen und angespuckt und musstest den Attentatsversuch eines wild gewordenen heimischen Che Guevara über dich ergehen lassen, der sich mit hochrotem Kopf auf dich stürzte, obwohl er dich eigentlich gar nicht verdreschen, sondern nur als konsequente Führerfigur erscheinen wollte, die keine Abweichler duldet).
    Die Bewegung ließ, mit anderen Worten, keine Unsicherheit zu, und schon gar keine Diskussion. Sobald man was nicht raffte und das zu erkennen gab, wurde man zum unterentwickelten Schwachkopf erklärt.
    Und deshalb war man am Ende immer mit allem einverstanden.
    Man sagte eben okay, um nicht aufzufallen.
    Man hielt es mit Obelix, der seinen gallischen Freunden völlig verständnislos dabei zusieht, wie sie tagelang über Angriffsstrategien und geeignete Angriffspunkte für eine Militäroperation diskutieren, und er, der immer nur Bahnhof versteht, brüllt am Ende: ›Ich weiß nicht warum, aber ich komme mit euch!‹
    Für die Musiker, vor allem die einheimischen, waren die automatischen Ermäßigungen in Italien ein Albtraum, weil ihnen auf Konzerten über die automatische Ermäßigung hinaus oft regelrecht der Prozess gemacht wurde: Die kostenlos Reingekommenen sprangen auf die Bühne, kidnappten den Sänger und nahmen ihn ins Kreuzverhör.
    Sie fragten ihn:
›Weshalb bist du im Fernsehen aufgetreten, du reaktionäres Arschloch?‹
›Was hast du denn da für ein Scheißlied geschrieben, mit so einem piefigen Klugscheißertext?‹
›Und warum rennst du in so einem piefigen Hemd rum? Willst du damit vielleicht groß rauskommen in Sanremo?‹
    Militante Kritik war das damals noch, ernst zu nehmen, tollkühn, beherzt. (Anders als die peinlichen Emoticons am Rand der Rezensionen in den Zeitungen – Sternchen, Smileys oder enttäuschte Heulies.)
    Der Musiker (vor allem der italienische, denn der

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