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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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als einen Proleten dafür zu tadeln, wenn er gegen den guten Stil verstößt (vor allem mir gegenüber). Ich freue mich sogar diebisch, wenn Leute sich nicht so benehmen, wie sie sollten, weil sie mir so die Gelegenheit geben, ihnen Bescheid zu stoßen, ihnen meine abgrundtiefe Missbilligung zu zeigen. Es stimmt schon, die beleidigte Leberwurst spiele ich ausgesprochen gern.
    »Rekapitulieren wir nochmal kurz, ja?«, antwortete ich (so bockig wie möglich, damit sie nicht mitbekam, wie mir der Arsch brannte. »Deine Mutter hat es mal wieder geschafft, sich in den Mittelpunkt zu drängen. Sie blökt los, und ihr rennt, Alf und du. Jeder Pups von ihr ist das Evangelium – und was andere bewegt, liegt jenseits eurer Vorstellungskraft. Du findest nicht mal was dabei, mir eine Gardinenpredigt zu halten, wenn ich mir erlaube, auf das kindische Verhalten aufmerksam zu machen, das Nives mir gegenüber an den Tag legt.«
    »Oookay«, lenkte Alagia ein und machte eine bedeutungsschwangere Pause (die mir sagen sollte: ›Ich erkenne ja an, dass du dein Bestes gegeben hast, und ich tu dir auch den Gefallen, nicht weiterzubohren – du könntest dich in Zukunft aber echt mal zusammenreißen.‹). Laut sagte sie: »Können wir jetzt über Großmutter reden?«
    »Aber klar doch«, nahm ich den Kompromissvorschlag sofort an. Der Konfrontation mit diesem Mädchen bin ich einfach nicht gewachsen, sie ist praktisch die optimierte Ausgabe ihrer Mutter.
    Wir gönnten uns einige Sekunden köstlichen Schweigens, um die gereizte Stimmung aufzuhellen. Ich begab mich auf eine kleine Reflexionstour um meinen Küchentisch herum (schließlich saßen wir dort), dann hakte ich genau an dem Punkt nach, wo ich in die falsche Richtung argumentiert hatte.
    »Wo, sagtest du nochmal, hat sie ihn?«
    »Was weiß ich. Wenn ich’s recht verstanden habe, ist es eine Art Lymphom. Irgendwas ziemlich seltenes.«
    »Verdammte Scheiße aber auch.«
    »Echt witzig war, wie sie den Arzt behandelt hat.«
    »Warum, was hat sie denn gemacht?«
    »Du hättest dabei sein sollen! Also, der Typ war so ein Lackaffe direkt von der Sonnenbank, mit orangen Crocs unterm Arztkittel. Du weißt schon – einer von denen, die sich für unwiderstehlich halten. Erst hat er uns Angehörige zum vertraulichen Gespräch zu sich rein gebeten, immer so in dem Stil: ›Ich bin auf Ihre Mitarbeit angewiesen, wir sollten ihr nichts vormachen, es ihr aber schonend beibringen. Die Wahrheit in kleinen Dosen – Sie wissen schon‹, oder: ›Für uns ist das noch wichtiger als für sie‹. Immer in dieser Scheiß-ersten-Person-Plural. Also eine Lektion in Menschlichkeit, ich kann dir sagen, und dann Mama, die sich das Taschentuch vor die Nase drückt wie ein Boxer, und Alfredo, der drauf und dran ist mitzuschreiben. Sobald Großmutter ihn dann vor sich hatte, diesen Herrn Doktor, da hat sie ihm in die Augen geschaut und gesagt: ›Ich hab Krebs, stimmt’s?‹ – Oh, Vince’, der hat vielleicht blöd geguckt! Wie eine gehörnte Ehefrau, die nachts um zwei hinter der Tür auf ihren Gatten lauert, um ihm ein Geständnis abzupressen, bevor er ihr seinerseits ein Alibi auftischen kann … Genau so. Es war wirklich zum Totlachen. Der Typ war so überrumpelt, dass er gar nicht mehr wusste, was er sagen sollte. Und damit war die Sache für Großmutter klar. Leugnen zwecklos.«
    »Tja, dann war es wohl besser, dass ich nicht dabei war, ich hätte bestimmt laut losgelacht.«
    »Genau das hat sie auch gesagt.«
    Assunta. Assunta Russo, genannt Ass. Die Großmutter von Alagia und Alfredo. Die Mutter von Nives. Meine Schwiegermutter. Beziehungsweise meine Ex-Schwiegermutter. Ne richtige Marke. Vielleicht der einzige Mensch, in dessen Gegenwart Nives jede intellektuelle Pose aufgibt, ihre Satzkonstruktionen zehn Nummern tiefer hängt und anfängt, sich schlicht auszudrücken (mit Subjekt, Prädikat und Objekt) und ohne jede Abschweifung vom Thema.
    Ass (Vorsicht: wer Englisch kann, soll jetzt bitte keine blöden Witze machen; wenn meine Schwiegermutter nämlich eines nicht ist, dann das ) – Ass also ist das exakte Gegenteil von ihrer Tochter: Krankhaft unfähig, mit ihrer Meinung hinterm Berg zu halten. Gleichgültig gegenüber dem Unbewussten. Allergisch gegen alles Komplizierte.
    Um für Nives’ Unterhalt zu sorgen und sie studieren zu lassen, hat Ass fast ihr ganzes Leben lang in einem Restaurant gearbeitet – ein bisschen wie Ellen Burstyn in Alice lebt nicht mehr hier (›Nur dass mein Arsch

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