Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
Vom Netzwerk:
fertig.
    »Und denk dran«, fügte Matrix, um ja nichts auszulassen, mit einem obszönen Feixen hinzu, »ich komme persönlich vorbei, dann kannst du mir gleich noch deine Familie vorstellen.«
    Als ich diese abscheuliche Schlussformel hörte, war ich mir endgültig sicher, dass Matrix ein Camorrist war. Und sogar einer von Gewicht (nicht so sehr wegen seines Tons, sondern wegen der Ausdruckskraft seiner Sprache. Diese außergewöhnliche Fähigkeit, erschreckend plastische Bilder zu wecken, war ein klares Indiz dafür, dass er ein höheres Tier bei der Mafia war. Denn Camorristen sind Profis der Doppeldeutigkeit, Meister der Kommunikation, perfekte Werbefachleute für ihre Sache. Die Botschaft, die sie aussenden, bewirkt weitaus mehr, als den Empfänger einfach nur einzuschüchtern: Sie stellt ihre Drohungen nämlich in einen rechtsfreien Raum, wo Gesetze nicht zählen, weil der Stärkere entscheidet. Und genau das verletzt uns im Innersten: dieses untergründig Autoritäre.
    Die Camorristen drehen die kulturelle Uhr mit so viel Nachdruck zurück in eine Welt, von der wir dachten, wir hätten sie längst hinter uns gelassen. Das und ihr reaktionäres Latein wirft uns regelrecht aus dem Gleis, weil plötzlich nichts mehr gilt, auf das wir uns verlassen können.
    Ich war mir ziemlich sicher, dass Ingenieur Romolo Sesti Orfeo auf die indirekte Racheandrohung hin ausrasten würde. (So war es dann übrigens auch.) Fragt mich nicht, warum ich oft den richtigen Riecher habe – ich weiß es ja selbst nicht. Vielleicht hat es ja etwas mit der Ästhetik der Umstände zu tun – weil die Motive zweier Menschen, sich abschlachten zu wollen, in ihrem Zusammenklang eine perverse Choreographie ergeben.
    So blitzschnell, wie Ingenieur Romolo Sesti Orfeo sich auf Matrix stürzte, konnte ich gar nicht schauen: Er packte ihn bei den Haaren, riss ihn nach oben und donnerte ihm den Pistolenlauf erneut mit solcher Wut ins Gesicht, dass ich befürchtete, der Kopf von Matrix würde jeden Moment ein Silvesterfeuerwerk abgeben. Bei dem Gerangel stürzte ein Halbliterglas Joghurt vom Regal, zersprang auf dem Boden und tünchte etliche Fußbodenplatten mit weißer Farbe.
    Die alte Dame klammerte sich erneut an meinen Arm.
    Matrix konnte auf den Knien das Gleichgewicht nicht halten und zog instinktiv, um sich mit dem Fuß am Boden abstützen zu können, das rechte Bein hoch, worauf Ingenieur Romolo Sesti Orfeo ihm das Knie in die Seite rammte und ihn so heftig zu sich herzog, dass Matrix’ Bein unglücklich umknickte. Um nicht zu schreien, kniff Matrix die Augen fest zusammen und krümmte sich noch weiter nach vorn. Auf den Knien rutschend, sog er Luft durch die zusammengebissenen Zähne ein und hustete. Ich – oder vielmehr: wir (die Oma hing ja immer noch an mir) – wichen instinktiv (und höchstwahrscheinlich aus Solidarität und Mitgefühl für seine Schmerzen) einen Schritt zurück.
    Jetzt keuchte Matrix und biss sich auf die Lippen (ich wage übrigens die Behauptung, dass seine eigene Ohnmacht ihn stärker knickte als der Schmerz.)
    Ingenieur Romolo Sesti Orfeo, der ihn immer noch an den Haaren festhielt, zerrte weiter besitzergreifend an ihm. Matrix wollte etwas sagen, wollte vielleicht einen Fluch oder eine weitere Drohung ausstoßen; aber er brachte nur ein unverständliches, vermatschtes Grunzen heraus.
    Die Oma drückte mir in regelmäßigen Abständen den Arm – es war wie damals, wenn ich mit einer Angebeteten zum Horrorfilmgucken ins Kino ging (was die körperliche Kontaktaufnahme immer extrem beförderte). Es fehlte nicht viel, und sie hätte mich umarmt.
    Ingenieur Romolo Sesti Orfeo mutierte, wie sich jetzt herausstellte, im Nahkampf mit seiner Beute zur Bestie (was mich übrigens ziemlich überraschte – immerhin hatte er sich bisher eher wie ein Festnahmehygieniker aufgeführt).
    Das, was er Matrix zu verklickern hatte, war dem Ingenieur so wichtig, dass er ihm zwar mit theatralisch gedämpfter Stimme, aber doch für alle Umstehenden verständlich ins Ohr raunte: »Pech für dich, dass ich kein Polizist bin!«
    ›Bingo‹, dachte ich.
    Trotz des schmerzenden Pistolenlaufs an der Wange und obwohl er schielen musste, richtete Matrix seinen Blick auf Ingenieur Romolo Sesti Orfeo, als erwarte er, jetzt eine ganz neue Person zu sehen. (Vielleicht sah er sie ja auch, denke ich immer wieder – eine schrecklich unglückliche Person. Am Abgrund. Entsetzlich leer.)
    »Und die Familie, die hast du mir schon genommen, du

Weitere Kostenlose Bücher