Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
aufrichtig verwirrt aus der Wäsche.
Ich hatte mittlerweile übrigens auch den Verdacht, dass Ingenieur Romolo Sesti Orfeo womöglich nicht mehr ganz richtig tickte.
Irgendwo habe ich gelesen (oder es ist aus der Luft gegriffen? Keine Ahnung mehr – aber die Theorie erscheint mir logisch und ansatzweise sogar wissenschaftlich, weshalb ich es wahrscheinlich doch irgendwo gelesen habe) – ich habe also irgendwo gelesen, dass das Gehirn einfach dichtmachen kann, wenn es eine ganz besonders dumme Dummheit (ob willentlich begangen oder nicht) registriert, dass es also seinen Dienst verweigert und vorübergehend die Erinnerung an den »Tathergang« löscht. Weshalb es zu so etwas wie einer zeitweiligen vacatio mentis kommt und man sich vorübergehend inkonsequent verhält. (Das ist mir übrigens tatsächlich schon einmal passiert: Nach einem wüsten Streit mit einer Frau, die sogar so was wie meine Verlobte war damals, warf ich sie an einer für eine Fußgängerin objektiv gefährlichen Stelle aus dem Auto, trat wutentbrannt das Gaspedal durch und düste davon. Jetzt, nach Jahren, erinnere mich wieder an ihren ungläubigen Gesichtsausdruck im Rückspiegel – in der Situation selbst aber wusste ich, sobald ich um die Ecke gebogen war, nicht einmal mehr, wo ich wohnte. Nachdem ich einige Zeit ziellos herumgekurvt war – ein echter Albtraum, wenn ich daran zurückdenke –, kehrte ich um zu ihr und nahm sie wieder an Bord. Allerdings nicht, um die Sache wieder einzurenken, muss ich zugeben, sondern weil ich hoffte, dass sie mir entweder den Weg zeigte oder ich mir durch ihr Gemeckere wenigstens in etwa erschließen konnte, wie ich fahren musste – ihr wisst schon, so was in der Richtung: ›Wo fährst du denn hin? Hier lang, du Blödmann!‹ Ob das ein gutes Beispiel für so eine vacatio mentis ist, weiß ich jetzt auch nicht, aber sei’s drum.)
»Bravo«, sagte Matrix zu Ingenieur Romolo Sesti Orfeo.
Der antwortete nicht, sondern legte (offenbar aus ernsthaftem Interesse am Fortgang des Satzes) die Fernbedienung auf einem freien Platz im Gemüseregal vor sich ab. Matrix deutete sein Schweigen höchstwahrscheinlich als Schwäche, denn sofort legte er mit einem Crescendo von Drohungen los, offenbar zu dem Zweck, sein Gegenüber umzustimmen. (Wie in den Filmen, in denen ausgefuchste Polizisten, sobald sie beim Banditen auch nur einen Anflug von Unsicherheit wittern, unbewaffnet auf ihn zugehen und ihn auffordern na-los-schieß-doch , woraufhin der zitternd zurückweicht und schließlich heulend zusammenbricht und ihnen lammfromm die Pistole aushändigt.)
»Solang du mir nur Handschellen angelegt hättest … meinetwegen …«, donnerte Matrix. »Aber das hier«, und um deutlich zu machen, was er meinte, schlug er die Handschellen gegen den Handlauf, » das hättest du nicht machen dürfen.«
Mich beeindruckte, dass der Typ sogar noch in dieser zusammengekauert-wehrlosen Position eine dicke Lippe riskierte und offenbar überzeugt war, dass sich das Blatt schon bald wenden würde.
Der Ingenieur Romolo Sesti Orfeo muss dasselbe gedacht haben, denn er drehte sich zu mir und grinste hämisch – annähernd übersetzbar in: ›Haben Sie den da gerade gehört?‹
Warum zum Teufel er mir verschwörerische Blicke zuwarf, war mir ein Rätsel; ich fand es nicht nur unangenehm, sondern wirklich Besorgnis erregend. Fehlte nur noch, dass Matrix annähme, wir zwei steckten unter einer Decke, und er, wenn alles ausgestanden wäre, auch nach mir suchen würde.
»Sag mal«, höhnte Matrix weiter, »hoffst du zufällig auf eine Beförderung, oder was soll das?«
Kurze Pause.
Dann senkte er die Stimme, deutete ein herzliches Lächeln an (wie der gute Onkel, der sich vor seinem kleinen Neffen hinkniet und ihm mit einem ›Wie groß du geworden bist!‹ den Kopf tätschelt) – Matrix lächelte also und sagte zu seinem Peiniger: »Morgen früh schaue ich bei dir vorbei, hörst du? Und dann schieß ich dir erst in beide Hände und anschließend ins Gesicht. Darauf kannst du Gift nehmen.«
Nun, ich weiß nicht, was für einen Eindruck solche Sätze machen, wenn man sie schwarz auf weiß liest; aber ich garantiere euch: Wenn man sie live hört, wird einem genauso übel, wie wenn man von jetzt auf gleich bei einer Autopsie zuschauen müsste. Sie beschränken sich nämlich nicht darauf, den Tod zu versprechen, sondern geben ihm auch eine Form und ein Gesicht. Sie zeigen dir sozusagen ihre Waffen, und was du siehst, macht dich echt
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