Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
In der Hoffnung, die richtigen Worte zu finden, um einen Standpunkt festzuklopfen und ihn dann nicht mehr wechseln zu müssen. Wenn ich mich festbeiße, schreibe ich bis in die Nacht hinein. (Und frage mich: ›Spinnst du eigentlich? Musst du jetzt auch noch ein Buch schreiben?‹)
In manchen Nächten habe ich das Gefühl, zu Ergebnissen von sozusagen öffentlichem Interesse zu kommen, und lege mich nach dem Schreiben zufrieden schlafen. Aber bereits wenige Tage später, wenn meine Ansichten wieder ins Wanken geraten, fahre ich den Rechner hoch, öffne die Datei Grüb.doc , lese nach und finde keinen einzigen überzeugenden Satz. Alles erscheint mir ungereimt, hohl, gestelzt, irgendwie wie eine gefälschte Bilanz (wenn ich Bilanzen lesen könnte); Sätze wie Rohrleitungen – verschweißt statt beflügelt, bolzengerade statt organisch verzweigt, wenn ihr versteht, was ich meine.
In den kurzen Momenten hellsichtiger Irritation, in denen ich seitenlange Textdokumente, an denen ich stundenlang gesessen hatte, wieder löschte, wurde mir eines klar: dass man sofort merkt, ob einer um des Schreibens willen schreibt oder ob er einen Zweck verfolgt. Im ersten Fall versteht man seine Worte, selbst wenn der Gedanke schwierig ist. Im zweiten Fall hingegen bleibt selbst nach mehrmaligem Lesen noch eine gewisse Konfusion zurück; du hoffst beim Weiterlesen zwar, dass du mit der Zeit klarer sehen wirst. Wenn du am Ende immer noch nichts verstehst (oder dem, von dem du glaubst, es verstanden zu haben, nicht traust), bist du echt angewidert von der Anstrengung, die du vollbringen musstest, als ob du versucht hättest, jemandem einen Gefallen zu tun, der ihn gar nicht verdient hat.
Wenn einer derartig berechnend schreibt – wenn er seine Sätze also mit Synonymen, Adverbien und anspielungsreichen Begriffen vollstopft, aber nie Klartext redet, dann kann das nur eines bedeuten: Er will jemanden austricksen (möglicherweise sogar sich selbst, aber das tut wenig zur Sache).
Persönlich kenne ich den Unterschied zwischen dem Schreiben um des Schreibens willen und dem eigennützigen Schreiben – glaube ich – recht gut, schließlich verdiene ich mein Geld mit manipulativen Schriftsätzen (die sich mit meinen nächtlichen Versuchen zwangsläufig nicht vertragen).
Der Schreibstil von uns Anwälten ist tatsächlich haargenau auf das Erreichen eines bestimmten Ziels orientiert. (Versteht mich jetzt bitte nicht falsch: Daran ist nichts Schlechtes, beileibe nicht. Immerhin basieren ja ausnahmslos alle Wissenschaften auf Sprache – und das Recht ist eine Wissenschaft. Dass eine wissenschaftliche Sprache einen gewissen Grad an Unverständlichkeit hat und dass diese Unverständlichkeit jemandem zu schaffen macht, der sich mit einer bestimmten Sorte Stoff nicht auskennt, ist dabei ja nur natürlich.)
Aber wenn schon ein ärztlicher Befund oder ein banales Rezept als schwer verständliche Texte wahrgenommen werden (wenn man sich also nicht mit einer Übersetzung behelfen kann, die der Arzt beim Ausstellen des Rezepts tatsächlich immer mitliefert), vermittelt jeder beliebige juristische Schriftsatz den Eindruck, ein Kunstprodukt und damit unecht zu sein. Die in ihrer Parteilichkeit schamlose Argumentation macht ihn schon im Ansatz unzuverlässig.
Gebt doch mal einem Menschen mit wenig Gerichtserfahrung einen beliebigen juristischen Schriftsatz in die Hand (egal ob es ein ganz normales Beratungsschreiben, eine Klagschrift, eine Strafanzeige, ein Urteil oder nur ein schlichter Vertrag ist), dann wird er euch unter Garantie sagen,
(a) dass er ihn unverständlich findet und
(b), dass er dem Wenigen, das er zu verstehen glaubt, nicht traut.
Sollte dieser Mensch auch noch der Adressat des fraglichen Schriftstückes sein, wird er todsicher einen befreundeten Rechtsanwalt anrufen, um sich erklären zu lassen, was da eigentlich steht.
Kurzum: Juristischen Schriftstücken begegnet der Nichtjurist mit Misstrauen. (Der Vollständigkeit halber seien hier aber noch die Journalisten und Werbeleute als nicht unbedingt vertrauenswürdige Berufsgruppen aufgeführt, wobei der Otto-Normalverbraucher paradoxerweise nicht davor zurückschreckt, ein Produkt auch dann zu kaufen, wenn er die dazugehörige Werbung eindeutig für verlogen hält).
Lasst mich meine Argumentation mit konkreten Beispielen unterfüttern – immerhin finden sich in meinem Rechner ja sowohl juristisch-manipulativ formulierte Dokumente als auch solche, die nur um des Schreibens willen
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