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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diego de Silva
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von Ehemann nicht gestorben ist. Vor allem ist mir auch Kris Kristofferson nicht übern Weg gelaufen‹, sagte sie lakonisch, als ich den Vergleich mit Scorseses Film mal ins Spiel brachte). Möglicherweise ist ihre Idiosynkrasie gegen die problemorientierten Zugänge zu allen möglichen Dingen des Lebens dem Umstand geschuldet, dass sie sich ihre Brötchen immer selber hat verdienen müssen.
    Dies nur kurz, um der Biografie Genüge zu tun. Aber da ich Ass ein bisschen kenne, glaube ich sagen zu können, dass ihre Tendenz, bei Problemen direkt auf den Punkt zu kommen, Teil ihres Charakters ist – in dem Sinn, dass sie sich, selbst wenn sie vermögend gewesen wäre und nicht für ihren Lebensunterhalt hätte arbeiten müssen, trotzdem immer von ihrem verdammten Kellnerinnenpragmatismus hätte leiten lassen. Und auch weil sie nie viel Aufhebens darum gemacht hat, dass sie ihre besten Jahre als Küchenhilfe verpulverte, damit ihrer Tochter auch ja nichts fehlte. Niemand von uns hat sie je jammern gehört (im Gegensatz zu all den verkrachten Eltern-Existenzen, die ihren Kindern immer und immer wieder aufs Butterbrot schmieren, auf wie viel sie für den Nachwuchs verzichtet hätten – von Versicherung und Arbeitgeberbeiträgen ganz zu schweigen (es ist unglaublich, wie viele von solchen Typen unterwegs sind). Ass ist einfach so gestrickt, dass sie nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip denkt und – im Gegensatz zu ihrer Tochter – gar nicht dazu neigt, jedes Thema breitzutreten. Was für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Ass dann eine Tochter bekommt, die Psychologin wird und alles ausdiskutiert.
    Nives gibt übrigens an, ihren Beruf als Reaktion auf das simplifizierende Modell gewählt zu haben, das ihre Mutter ihr angeboten hat (ich brauche wohl nicht zu sagen, dass das alles – von ›als Reaktion‹ bis zu ›angeboten‹ – wörtliche Zitate sind). Nives’ Rekonstruktion zufolge soll ihr Berufswunsch auf eine Laune zurückgehen, die sie als Neunjährige überkam: Sie wurde von einer plötzlichen, grundlosen Traurigkeit überfallen (und zu einem weinerlichen Plagegeist, wie das Kindern in diesem Alter manchmal passiert), so dass sie quengelnd um ihre Mama herumstrich (wie Kinder das eben machen, wenn sie Aufmerksamkeit bekommen wollen. Was sie sonst noch von dir brauchen, sollst du gefälligst selber rausfinden).
    Ass ließ ihre lamentierende Tochter eine Weile gewähren, wohl in der Hoffnung, sie würde schon von alleine wieder damit aufhören. Als sie jedoch merkte, dass sich das wahrscheinlich noch hinziehen würde, hielt sie Nives eine kleine Standpauke, die mehr oder minder folgenden Verlauf nahm:
    ›Also, Schätzchen, wo ist dein Problem? Du hast heute Nacht geschlafen wie ein Engel – nicht mal schlecht geträumt hast du. Das Gedicht, das ihr lernen solltet, konntest du gestern in der Schule prima aufsagen – das weiß ich von deiner Lehrerin, die ich beim Einkaufen getroffen habe. Zum Mittagessen hast du heute Kotelett und Kartoffelbrei gekriegt und zum Nachtisch sogar eine doppelte Portion Erdbeeren. Danach durftest du Trickfilme schauen. Obendrein hast du heute kaum Hausaufgaben, deine Stirn ist nicht heiß, und der Hund ist auch nicht gestorben. Kannst du mir also bitte mal erklären, weshalb ich dich trösten soll? Du hast definitiv kein Problem, Schätzchen. Also benimm dich gefälligst auch nicht so!‹
    Nives hatte sich die Aufzählung (an der übrigens nichts zu rütteln war, wie sie immer wieder betonte) Punkt für Punkt und mit hochrotem Kopf angehört. Dann war sie ohne ein weiteres Wort und ohne weitere Tränen zu vergießen auf ihr Zimmer gegangen und hatte ihre Hausaufgaben erledigt. So geschämt habe sie sich nie wieder in ihrem Leben, pflegte Nives ihre Erzählung abzuschließen. Und sie habe sich auch nie mehr zu einer solchen Launenhaftigkeit verstiegen.
    An jenem schicksalhaften Tag regte sich in meiner Frau also der Keim zu einer Entscheidung, die sie Jahre später treffen sollte (auch hier gilt: der Wortlaut ist natürlich nicht auf meinem Mist gewachsen).
    ›Ich will Psychologin werden‹, schwor sie sich, als sie von der Existenz eines Faches erfuhr, das sich exakt mit den Traurigkeiten befasst, die Menschen ohne offensichtlichen Grund befallen. ›Ich will die Probleme lösen, die es für meine Mutter noch nicht mal gibt; ich will den Leuten, die unter ihnen leiden, zuhören und sie ernst nehmen.‹
    (›Und ich will Vincenzo Malinconico ordentlich einheizen‹, würde

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