Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Aktenbündel, die im Karteikasten vergilben. Abfolgen von Verhandlungsterminen, bei denen der erste noch vor der Geburt deines ersten Kindes lag (obwohl es, Herrgott nochmal, nur um den Scheißwasserfleck in der Küche eines Verwandten ging). Mir machen Situationen zu schaffen, in denen du auf der Straße einem Mandanten begegnest, der das Kaugummi-Verfahren mittlerweile nicht mal mehr erwähnt und dich mit einem Hauch von Mitleid ansieht, als wollte er dir sagen: ›Vielleicht ist es ja gar nicht deine Schuld, aber was machst du eigentlich für eine Scheißarbeit, du Anwalt du?‹ Das Schlimmste ist, dass ich ihm nicht mal unrecht geben kann. Wir haben uns doch alle längst mit der (zugegebenermaßen etwas grob gestrickten, in den meisten Fällen aber begründeten) Vorstellung abgefunden, dass man nur zu prozessieren braucht, damit ein Streitfall sich festfährt und zur Schande aller Beteiligten auf lange Sicht ungelöst bleibt.
Der moderne Anwalt ist ein bisschen wie der Psychoanalytiker, den du jahrelang aufsuchst, obwohl dir längst klar ist, dass er deine Probleme niemals lösen wird (ein paar Leute, die ich kenne, sagten mir, sie würden sich nicht mal mehr erinnern, warum sie überhaupt in Behandlung seien, und das meinten sie sogar ehrlich, da bin ich mir ganz sicher).
Nehmt nur mal die Leute als Beispiel, die aus Prinzip nicht zahlen. Für die ist das Prozessieren ein einfacher Weg, um weiterzukommen. Sie nutzen die Zeit wie eine Münze. Auf diese Weise reiben sie den Gläubiger so lange auf, bis er sogar einen Vergleich akzeptiert, der nicht mal mehr ehrenwert ist, ihm aber immerhin den Vorteil bietet, endlich mit der gottverdammten Sache abschließen zu können und nie mehr daran denken zu müssen.
Was wollte ich eigentlich sagen? Ach so, ich hatte Ingenieur Romolo Sesti Orfeo eigentlich antworten wollen, dass ich es normalerweise gar nicht so eng sehe, wenn ein Verfahren tatsächlich gütlich abzuschließen geht – als mich der Arbeitgeber von Comunale Vittorio damals jedoch zu einer Güteverhandlung in die Kanzlei seines Anwalts bat, wurde mir ein dermaßen unverschämtes, haarsträubendes Angebot vorgelegt, dass mir prompt das spöttische kleine Lächeln auf die Lippen trat, das die Serienkiller im Kino immer draufhaben, wenn sie provoziert werden. Mit diesem stummen Lächeln, das besagt: ›Du hast ja keine Ahnung, was du dir da gerade für einen Ärger einhandelst‹, machte ich auf dem Absatz kehrt. (Allerhöchstens knurrte ich noch ein ›Wiedersehen‹ zwischen den Zähnen hervor, wenn überhaupt.)
Am Tag darauf riefen sie mich an und vervierfachten das Angebot, aber ich war mittlerweile misstrauisch geworden – und außerdem fand ich allmählich Geschmack an der Sache.
Jetzt hör mir mal gut zu, sagte ich zu dem Kollegen, wenn dein Mandant diese Summe wirklich für anständig hält, kann er das gerne vor Gericht wiederholen. Dann werden wir ja sehen, was das zerquetschte Bein eines vierzigjährigen Arbeiters wirklich wert ist. Und wir reden hier wohlgemerkt nur vom Bein. Wenn wir aber schon mal dabei sind, können wir auch gleich noch den Schaden durch den Pfeiler, der auf ihn gekracht ist, mit in Rechnung stellen. Da kommt dann richtig was zusammen, wie dir klar sein dürfte.
Und er: Ich schwöre dir, ich wusste nicht, dass er dir nur so wenig bieten wollte.
Und ich: Erzählst du mir etwa gerade, dass er dich wie einen Idioten behandelt hat?
Und er (nach einer Pause, in der er sich bestimmt fragte, ob er da gerade recht gehört hatte): Danke dir für die Solidarität, Kollege , aber solche Dinge kommen nun mal vor. Hat dich etwa noch nie ein Mandant in Schwierigkeiten gebracht?
Und wieder ich: Doch, schon. Aber nicht so .
Was aber geschwindelt war – denn mir fiel natürlich sofort diese eine albtraumhafte Blamage wieder ein (eine von denen, wo die Welt um dich herum zu verschwimmen scheint und sich alle nach dem einzig scharf gestellten Typen weit und breit umdrehen, nämlich nach dir).
Sciumo Filippo hatte er geheißen. Der Bastard war ein Herumtreiber, der mit Vorliebe Autoradios klaute. Und zwar immer nach Schema x: Der Idiot zertrümmerte die Autofenster mit Kniestößen – was so lange gut ging, bis er eines Abends mit einer kugelsicheren Scheibe Bekanntschaft machte. Nach seiner Knieattacke schlug er der Länge nach hin und jaulte dermaßen laut auf, dass die Carabinieri direkt angerannt kamen, um ihm wieder aufzuhelfen (und als sie herausfanden, was Sache war, hörten sie
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