Meine Seele weiß von dir
Acht“, wispert sie mahnend in meinem Kopf. „Nimm dich bloß in Acht!“
Ich gehe den scheinbar endlosen Korridor entlang. Vorbei an der Schuhputzmaschine, einer hohen Yuccapalme und sechs Zimmertüren: drei auf jeder Seite.
Obwohl das Geräusch meiner Schritte von dem dunkelblauen Teppich verschluckt wird, öffnet sich die letzte Tür auf der rechten Seite, bevor ich klopfen kann.
Zögernd bleibe ich an der Schwelle stehen.
„Komm schon rein“, höre ich Rick. Und dann, beinahe beißend: „Engel.“
Auf einmal verstehe ich nicht mehr, wie ich in ihm je Leander habe sehen können.
Rick schließt die Tür hinter mir und verriegelt sie. Ein Vorgang, der meinen stürmischen Herzschlag zum Stolpern bringt. Ich versuche, Rick mein Unbehagen nicht spüren zu lassen.
„Hattest du Schwierigkeiten so kurzzeitig herzukommen?“, frage ich und setze mich nach außen gelassen in einen der beiden Sessel beim Fenster.
Er zuckt scheinbar gleichmütig mit den Achseln. Seine Wangen wirken eingefallen und die Schatten unter seinen Augen treten dunkel hervor. Das lässt ihn älter aussehen, als er ist. „Nicht mehr als sonst.“
Da es mich nie interessiert hatte, wie Rick die Treffen mit uns einrichten konnte, bin ich nicht schlauer als vorher.
Rick setzt sich auf den Boden vor mich hin. Er schaut mich von unten herauf an, macht aber keinen Versuch, mich zu berühren.
„Ich weiß, warum du hier bist“, stößt er hervor.
„Ja, das ist mir klar. “
„Gute Nachrichten sprechen sich beinahe ebenso schnell herum wie die schlechten.“ Er hält einen Moment inne und lächelt dabei ein für mich undeutbares Lächeln.
„Was meinst du?“
Er winkt ab. „Egal.“ Er rutscht näher an mich heran. „Du erinnerst dich also wieder“, stellt er in einem beinahe geschäftsmäßigen Ton fest. „Und offenbar an jedes Detail. Sogar an meine Wenigkeit.“
„Ja.“
„Und ich nehme an, du willst auf Nummer sicher gehen und mir noch einmal klar machen, dass es vorbei ist. Persönlich. Um dich zu überzeugen, dass ich es diesmal einsehe und dir nicht ... dazwischenfunke. Dass ich es akzeptiere.“
„ Du hat es erfasst .“
Rick runzelt die Stirn. „Ich soll dir sozusagen meinen Segen geben, was?“
„Wenn du es so ausdrückst ... ja.“
Er nickt einige Male versonnen vor sich hin. „Warum willst du mich eigentlich loswerden?“, fragt er leise.
Ich bleibe stumm, und er wiederholt nach einiger Zeit sein „Warum?“ so laut, dass ich zusammenfahre.
„Weil ich dich nicht liebe, Rick. Weil ich dich niemals geliebt habe und es auch nie tun werde. Nie.“ Und dann, nach einer Pause: „Darüber haben wir doch schon vor einigen Wochen gesprochen. Nichts hat sich seither geändert. Es tut mir leid. Ich habe so vieles kaputtgemacht. Zu viel!“ Das klingt sogar in meinen Ohren lahm. „Ich war einfach nicht ich selbst.“
Darauf entgegnet er nichts.
„ Rick, w eiß Monika von ... uns?“
„Nein. Aus irgendeinem Grund habe ich es nicht über mich gebracht, es ihr zu sagen.“
Die Erleichterung, die mich befällt, kann ich körperlich spüren. Es ist, als hätte ich einen schweren Gegenstand mit mir herumgetragen, den ich nun endlich abstellen kann.
„Darüber bin ich froh“, sage ich. „Sehr, sehr froh.“
„Spar dir das. Ich habe es nicht für dich getan.“
Er beißt die Zähne aufeinander, sodass Kiefer und Kinn kantig hervortreten. Jetzt erkenne ich eine Andeutung von Leanders Gesichtszügen in seinen wieder. Und in diesem Moment tut Rick mir unendlich leid.
Gleichzeitig wird mir deutlich, dass mich auch ein großer Teil Mitleid dazu gebracht hat, mich nicht eher von ihm abzuwenden. Aber das darf nicht sein und ich schiebe dieses Gefühl in mich zurück, so tief ich nur kann.
Ich stehe auf. „Ich denke, es ist alles gesagt, Rick.“ Das kommt selbstsicherer heraus, als ich mich fühle. „Es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Ich wünsche dir alles Gute. Wirklich, das tue ich. Dir, Monika und dem Baby.“ Ich gehe in Richtung Tür.
Aber Rick umfasst meinen Arm und hindert mich daran zu gehen.
„Sag mir, Engel, hast du Angst vor mir? Oder warum willst du so schnell wieder fort?“
„Nenn mich nicht so!“, fahre ich ihn an. Aber dann antworte ich ihm. „Einerseits nein, andererseits ja. Schließlich hast du Rainer Maria getötet“, flüstere ich mit bebender Stimme. „Warum hast du das getan?“
Darauf sagt er nichts, schaut mich nur groß an.
„Und du hättest beinahe mich umgebracht!
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