Meine Seele weiß von dir
Leander.
Leander, der mir zwar ausweicht und mich unverbindlich liebenswürdig behandelt und allein schläft, mich aber trotzdem ausgehungert ansieht. Der mit mir redet, mir zuhört und der mich beinahe geküsst hätte. Leander, der einen inneren Kampf mit sich zu kämpfen scheint. Er schiebt mich von sich. Freundlich – aber bestimmt. Anstatt mich an sich zu ziehen, wie ich es mir erhoffe.
Ohne dass es mir bewusst wird, streichele ich mich und fantasiere, es wären seine Hände, die über den glatten Stoff meiner Bluse wandern, sie langsam aufknöpfen, die Brüste umfassen, sie sanft massieren.
Meine Rechte fährt tiefer. Sie berührt die sehnsüchtig pochende Stelle zwischen meinen Schenkeln durch den festen Stoff der Jeans. Ich reibe fester, öffne den Reißverschluss - doch dann ist da plötzlich eine Winzigkeit, die mich innehalten lässt: eine Ahnung, nicht länger allein zu sein, das Gefühl unsichtbarer Blicke auf meinem Körper.
Ich rappele mich auf. Hastig schließe ich meine Bluse und ziehe den Reißverschluss meiner Hose zu.
Aus den Schatten des Waldes löst sich Leanders Gestalt. Er kommt ohne Eile auf mich zu.
An der Wärme, die mir ins Gesicht kriecht, merke ich, dass ich rot werde.
Leander trägt noch immer das schmutzige T-Shirt und die zerrissene Jeans. Aber er hat sich die Hände und das Gesicht gewaschen. Er verströmt den Geruch von Kernseife.
Seine Augen glänzen seltsam. Mir fällt auf, wie belegt seine Stimme klingt, als er mir erklärt, dass er mir entgegengehen wollte.
Etwas verändert sich.
Ich sehe die Welt um mich herum scharf umrissen, spüre alles überdeutlich. Die Sekunden, sie tröpfeln vor sich hin wie dickflüssiger Honig.
Leander steht jetzt dicht vor mir.
„Das ist eine Freyalinde“, höre ich ihn murmeln. Er streckt eine Hand aus und spielt träge mit einer Strähne meines Haares. „Bei den alten Germanen war es ein heiliger Baum, der wegen seiner herzförmigen Blätter als Baum der Liebe galt. Aus diesem Grund wurde er der auf einem Eber reitenden Göttin Freya gewidmet. Sie ist die Göttin der Liebe. Ihr Baum ist deshalb ...“ , s eine Atemzüge liebkosen heiß mein Gesicht , „... ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare.“
Ich sehe, dass kein Mensch gewagt hat, die Rinde dieser Linde mit unnützen Schnitzereien oder Einkerbungen zu verstümmeln. Sie ist makellos, ohne jede Vernarbung. Ich meine, ihre Kraft zu spüren, die durch die Wurzeln über den Boden kriecht, prickelnd durch meine Fußsohlen dringt und sich durch das Geäst meiner Venen in mir ausbreitet.
Oder ist es Leanders Nähe, die das in mir auslöst?
Mir schwindelt.
„Hier“, flüstert er, „genau an dieser Stelle habe ich dich gebeten, meine Frau zu werden.“
Augenblicklich fällt mir der Glasrahmen mit dem getrockneten Lindenblatt ein, der in meiner Nachttischschublade begraben liegt.
„Und ich habe Ja gesagt.“
Er nickt.
Wortlos drängt er mich an den Stamm. Ich spüre die glatte Rinde durch die Seide meiner Bluse und mir ist klar, Leander kann nicht anders.
Brust an Brust stehen wir da. Wessen Herz schlägt heftiger gegen meine Rippen: meines oder seines?
Wir schließen die Augen nicht, sehen uns an, die ganze Zeit. Er ist so groß, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss, um zu ihm aufblicken zu können.
Da ist ein sanfter Hauch aus seinem Mund, der über meinen streicht. Leander kommt noch näher. Er zögert. Aber diesmal, diesmal zieht er sich nicht zurück.
Mit der Zungenspitze zeichnet er die Konturen meiner Lippen nach. Die feuchte Spur, die zurückbleibt, prickelt auf der empfindsamen Haut. Ich habe das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.
Ich sauge an seiner Oberlippe, lecke darüber, koste ihn. Er schmeckt herb und süß zugleich.
Zartbitter.
Leander stöhnt leise.
Seine Mundhöhle schiebt sich über meinen Mund. Unsere Zähne berühren sich flüchtig, es gibt ein leises Geräusch, als würden Perlen sacht aneinanderklicken, dann schiebt sich seine Zunge dazwischen.
Jetzt stöhne ich.
Er leckt meine Zunge mit seiner, lutscht, beißt und küsst. Ich tue dasselbe: ich lutsche, beiße und küsse – bis Leander plötzlich zurückweicht und schwer atmend hervorstößt: „Ich wünschte, du hättest es nicht getan.“
„Was ... was nicht getan?“
„Meinen Antrag angenommen.“
Er dreht sich um und lässt mich allein, verwirrt und aufgewühlt zurück. In seinen Worten und seinen Bewegungen liegen so viel unterdrückte Wut, so viel Verbitterung und kaum
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