Meine Seele weiß von dir
lange und sehr intensiv an.
„Oh“, macht Leander, der neben Monika sitzt, fasziniert. Spontan greift sie nach seiner Hand und legt sie rasch auf ihren geschwollenen Leib.
Leander erstarrt in Ehrfurcht – anders kann ich es nicht nennen. Wenn ich auch alles in meinem Leben vergessen habe und vielleicht das Künftige noch vergessen werde: diesen Anblick nicht.
Eine Vene an seinem Hals pulsiert heftig und die große Hand zittert. Er hält buchstäblich den Atem an, den Kopf leicht zur Seite geneigt, als würde er lauschen. Am liebsten möchte ich meine Hand neben seine legen, um das werdende Leben zu spüren; doch ich traue mich nicht, Monika darum zu bitten.
„Oh“, haucht Leander noch einmal.
„Wir werden sie Sarah-Jane nennen, nicht wahr, Rick?“
„Hm.“
Ich fange einen undeutbaren Blick von Rick auf. Bevor ich ihm zulächeln kann, wendet er sich ab.
So plötzlich, wie Sarah-Jane sich bemerkbar gemacht hat, verhält sie sich wieder still. Leander nimmt seine Hand fort. Der Bann ist gebrochen.
Isi eilt in die Küche, um den Nachtisch zu holen. Nach dem Dessert, es gibt Naturjoghurt mit köstlichem Honig und Walnüssen, von dem ich reichlich nehme, helfe ich Isi, den Tisch abzuräumen und alles ins Haus zu tragen.
Monika bleibt sitzen und so sind Isi und ich allein in der Küche. Verständnisvoll lächelt sie mir zu und sagt: „Werner und ich haben den Entschluss gefasst, dich an nichts erinnern zu wollen. Was gewesen ist, ist gewesen, und deine Situation muss schlimm genug sein, da brauchst du uns nicht noch als wandelnde Gedächtnisstützen.“
Ich bin ihr dankbar. Wirklich. Und ich will es ihr gerade sagen, da fährt sie fort: „Außerdem, glaube mir, es gibt Schlimmeres, als zu vergessen.“
Emsig räumt sie die Spülmaschine ein.
„Zum Beispiel?“
Sie hält inne und blickt mich nachdrücklich an, bevor sie sich abwendet, um wieder hinauszugehen. „Nun“, antwortet sie tonlos, „ die Gewissheit.“
Allmählich verwandelt sich die Nachmittagssonne in die Abenddämmerung und schließlich bricht die Dunkelheit herein und mit ihr schwärmen Mücken heran. Die Gespräche versickern und verstummen am Ende ganz. Dafür hört man immer öfter das Klatschen, wenn einer von uns nach einer Mücke schlägt. Als ich unterdrückt gähne, sagt Leander, dass wir uns auf den Heimweg machen.
Nachdem wir uns bedankt und verabschiedet haben, schlendern wir nebeneinander durch die stille, von Vorgärten gesäumte Straße zu unserem Wagen, ohne uns zu berühren. Ich sehe die ersten Glühwürmchen um eine Efeuranke schwirren, erstaunlich früh für die Jahreszeit. Es sieht aus, als wären einige Sterne vom Himmel heruntergeschwebt.
Noch ehe ich Leander auf das wunderbare Schauspiel aufmerksam machen kann, denke ich „Sterne“, denke es noch einmal und noch einmal und mir ist gar nicht bewusst, dass ich es laut ausspreche, bis ich schreie. Immer und immer wieder, nur dieses eine Wort: „Sterne! Sterne! Sterne!“
Erst als Leander mich schüttelt, verstumme ich. Keuchend starren wir uns an.
„Was ist los?“, will er wissen.
„Ich ... ich m usste an Sterne denken, wegen dieser Glühwürmchen dort ...“
„Ja? Und?“
„Plötzlich hatte ich Angst, Leander. Todesangst.“
„Wovor?“
„Darin zu versinken. In den Sternen zu versinken und zu sterben.“
In dieser Nacht kehrt der Traum zurück. Wieder höre ich eine Stimme. Wieder falle ich in den Pool, gehe unter und das dunkle Wasser verschlingt mich. Wieder versinke ich in seiner Schwärze.
Als ich schluchzend erwache, allein, Leander übernachtet wie üblich im Gästezimmer, bin ich völlig aufgelöst. Ich schleppe mich zum Schrank, setze mich hinein und schließe die Türen.
Erst da werde ich ruhiger, rolle mich auf der Decke zusammen und schlafe ein.
Kapitel 11
Morgens klopft Leander mit einem Trommelwirbel seiner Fingernägel an die Schranktür, schiebt sie ein Stückchen zur Seite und fragt durch den Spalt betont munter, wie es mir geht.
Ich ergötze mich an dem tiefen Klang seiner Stimme und behaupte, alles sei okay.
Er hält mir einen Becher Kaffee vor die Nase, eine Tatsache, die mich ein wenig verwundert: Das hat er sonntags, an seinem freien Tag, bisher nicht getan. Sondern immer nur am Feierabend, nachdem er nach Hause gekommen war.
Kurz darauf folgt die Erklärung: Er wird eine Woche mit seiner Sendung pausieren, ein Kollege wird einspringen, weil er in ein Tonstudio nach Berlin muss, um an einem
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