Meine Seele weiß von dir
geprügelter Hund ins Atelier, betrachte das Lindenblatt und Leanders Foto.
„Komm nach Haus“, flüstere ich beschwörend, als könnte ihn das tatsächlich zu mir bringen. „Mach schon!“ Natürlich taucht er nicht auf. Stattdessen kontrolliere ich das Auftragsbuch, um zu sehen, was ich zu welchen Terminen zu fertigen habe. Ich stelle fest, dass es genug für mich zu tun gibt.
Kurz nach Mittag ruft Frau Hischer herauf, dass sie geht, und als ich „Tschüss! Bis Freitag!“ zurückrufe, kläfft Herr Hischer zur Antwort.
Ich habe keine Lust, für mich allein zu kochen. Deswegen hole ich mir aus der Küche nur zwei Hefebrötchen, die vom Frühstück übrig geblieben sind, Kaffee, einen Joghurt und trage alles auf die Terrasse.
Ich setze mich so, dass ich den Pool nicht sehen muss. Neben dem Essen löse ich ein Sudoku, um mein erbärmliches Zahlengedächtnis zu trainieren.
Auch den Nachmittag verbringe ich im Atelier. Am Ende bin ich sehr zufrieden mit mir.
Gegen halb fünf dusche ich und mache mich zum Weggehen fertig. Um zwanzig Minuten vor sechs breche ich dann auf. In die Rabengasse 21 b.
Und mein Herz will schier zerspringen.
Fünf vor sechs.
Jetzt stehen in dem Haus vorn alle Fenster auf kipp und ich weiß, dass die Terrassentür hinten im Garten weit geöffnet sein wird – genau wie bei mir, wenn das Wetter schön ist. Der Fernseher wird eingeschaltet sein, obwohl niemand zuschaut. In der Küche wird das Abendessen vorbereitet. Wahrscheinlich etwas Italienisches.
Auf mein Läuten hin nähern sich Schritte. Natürlich kann ich das Auge nicht sehen, das mich kurz darauf durch den Spion mustert, aber es ist da.
Ich lächele in seine Richtung, dabei halte ich die Flasche Prosecco hoch. Sie ist feucht und glitschig, weil ich sie noch eine Weile in die Tiefk ühltruhe gelegt hatte. Ich muss höllisch aufpassen, damit sie mir nicht aus der Hand rutscht.
„Überraschung!“, rufe ich mit aufgesetzter Fröhlichkeit. „Eisgekühlt ! “
Nichts passiert.
„Was ist? Willst du mich nicht reinlassen?“
Nach einiger Zeit wird die Tür geöffnet. Das darin erscheinende Gesicht, aus dem mich helle Augen mustern, ist gerötet. Ich kann nicht einschätzen, ob vor Verlegenheit, Wut, oder einfach von der Hitze des Tages, die der Abend noch immer atmet.
„Sina-Mareen“, stellt mein Gegenüber lapidar fest. „Na, das ist wirklich eine Riesenüberraschung! Aber wo du schon mal hier bist ...“
Die Tür wird nicht eben enthusiastisch weiter geöffnet. Ich gehe hinein und auf direktem Weg in die Küche. Wie üblich .. .
Eine Schüssel gemischter Salat steht auf dem Küchentresen, daneben eine Platte Bruschetta, bei deren Anblick mir das Wasser im Mund zusammenläuft. Auf dem Herd kocht Tomatensoße und das Beste von allem ist, dass ich alles wiedererkenne. Jedes Detail.
Mehr noch: Als zwei Sektflöten vor mich hingestellt werden, geschieht genau das, was ich mir heute Morgen erhofft habe: Es kehrt noch mehr von meiner Erinnerung zurück.
Doch diesmal wünsche ich mir, es wäre anders!
Der Herd wird ausgeschaltet und die Flasche wird mir abgenommen. Kurz darauf perlt der Prosecco in den Gläsern. Wir haben uns in dem mit einer schwarzen Ledergarnitur und viel Glas und Chrom eingerichteten Wohnzimmer niedergelassen.
„ Und? “, werde ich gefragt. „Warum bist du hier?“
„Um reinen Tisch zu machen“, antworte ich. Ich nehme ein Glas, trinke es in kleinen Schlucken leer und halte es zum Nachfüllen hin.
Ute hebt den Kopf. Sie sieht mich an. Ihr Blick ist nicht unfreundlich. Bei genauer Betrachtung scheint sich bereits Zuneigung hineinzuschleichen. Ich weiß jetzt mit absoluter Sicherheit, dass diese Frau meine beste Freundin war – und noch ist. Es macht mich schier verrückt vor Freude, als mein Verstand bestätigt, was mein Gefühl längst weiß!
Bilder tauchen auf und verschwinden wie bei einer Diashow: Ute und ich, jünger, viel jünger, kichernd auf dem Pausenhof. Wie sie in einer Ecke eine Zigarette drehte, ansteckte, den ersten Zug nahm und an mich weiterreichte.
Beim Abschreiben während einer Klassenarbeit, Mathematik natürlich. Ich von ihr.
Ausgelassen im Bus, als wir zum Schüleraustausch nach Reims fuhren und unterwegs versuchten, unser Französisch aufzumöbeln.
Die Abifeier 1987, auf der wir die gleichen roten Kleider trugen, weil wir so auf den Song Lady in Red von Chris de Burgh abfuhren.
Wie wir uns gegenseitig aufmunterten, als wir unsere Ausbildung begannen: sie zur
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