Meine Seele weiß von dir
für Herrn Hischer besorgen. Als ich vor der Auswahl an Tiernahrung stehe und mein Blick auf das Katzenfutter fällt, schießt mir heiß das Wasser in die Augen und ein Kloß, steinhart und groß wie eine Walnuss, bildet sich binnen Sekunden in meiner Kehle. Ich blinzele die Tränen und das Bild von dem im Pool treibenden Rainer Maria weg und schlucke, bis ich den Klumpen endlich zurückgedrängt habe. Dann nehme ich ein Paket Hundekekse und fliehe.
Ich stelle mich an der Kasse an, bezahle und habe meine Sachen noch nicht ganz in den Tüten verstaut, da kommt auch Tom mit seinem Einkaufswagen.
Wir laden alles in den Kofferraum. Auf der kurzen Fahrt zu mir sagt er, wie sehr er sich freut, dass Ute und ich uns wieder versöhnt haben. „Sie hat dich sehr vermisst.“ Er wendet mir kurz sein Gesicht zu und grinst mich kameradschaftlich an. „Und ich auch. Schon wegen der schlechten Laune, die Ute ständig hatte.“ Er schüttelt sich in gespieltem Grauen.
Ich erwidere das Grinsen, doch ehe ich ein Wort sagen kann, passiert es erneut: ein Blitz der Erkenntnis erhellt die Tiefen meines Gedächtnisses. „Wenn ich Ute besucht habe, bist du gerne mit ein paar Kollegen zum Billard gefahren!“ Ich schreie derart laut, dass Tom vor Schreck abrupt auf die Bremse tritt und dabei den Wagen abwürgt. Worauf der Fahrer hinter ihm seinen Jeep ebenfalls scharf abbremsen muss und ein wütendes Hupkonzert veranstaltet, bevor er mit erhobenem Mittelfinger an uns vorbeizieht.
„Sag mal, spinnst du?“, raunzt Tom.
Aber ich rede schon weiter, dass er sich auf diese Abende gefreut und mich anschließend nach Hause gefahren hat, wegen des Prosecco, und dass wir, Ute und ich, nie auch nur annähernd so betrunken gewesen waren wie gestern.
Seine eben noch aufgebrachte Miene wird heiter. Er zieht meinen Kopf zu sich heran und küsst meine Schädeldecke. „Braves Gehirn!“, lobt er mein Scheitelbein. „Nur weiter so! Gib deiner Besitzerin ihre Erinnerungen zurück ... nur lass sie nicht jedes Mal derart brüllen, wenn es so weit ist.“
Dann schaut er mich an und verkündet zufrieden. „Ich glaube, du bist auf dem besten Weg zur Genesung. Bei uns in der Klinik hatten wir zwei, drei Patienten mit Gedächtnisverlust, ebenfalls Formen der retrograden Amnesie. Gut“, räumt er ein, „sie waren nicht ganz so stark beeinträchtigt wie du. Aber kurz bevor ihr Erinnerungsvermögen vollständig wieder einsetzte, erging es ihnen ganz ähnlich wie dir jetzt.“
„Wirklich?“
„Ja.“
„Oder willst du mich bloß trösten?“
„Quatsch! Es ist die Wahrheit.“ Und auf meinen skeptischen Blick hin: „Ich schwör‘s!“ Darauf startet er den Opel, wirft einen Blick in den Rückspiegel, fährt los und lässt mich meinen Gedanken nachhängen.
Zu Hause erwartet mich eine Überraschung: Als Tom die Auffahrt hinauffährt, steht Leander vor der Tür!
Mein Herz macht einen erwartungsvollen Satz. Ich wünsche mir nur, ich würde nicht so furchtbar mitgenommen aussehen! Ich kneife mir fest in die Wangen, damit sie nicht ganz so leichenfarben sind. Da erst erkenne ich, dass es nicht Leander ist, der uns gemächlich entgegenkommt, sondern Rick. Er hält ein Päckchen in den Händen.
„Na, der hat mir gerade noch gefehlt“, flucht Tom verhalten und mahlt mit dem Kiefer.
„Wieso? Mögt ihr euch nicht?“
„Was heißt schon mögen? Seit der Silvesterfeier letztes Jahr ist er mir nicht gerade sympathischer geworden.“
„Hm?“, mache ich fragend und ziehe die Augenbrauen in die Höhe.
„Ach ja.“ Tom kratzt sich den Kopf. „Der nervt mit seinen Wutanfällen“, klärt er mich auf und zieht den Zündschlüssel ab. „Verdammter Choleriker! Ich meine, wie kann man als erwachsener Mensch wegen jeder Kleinigkeit gleich ausrasten? Nur, weil mal ein Glas umgestoßen wird! Das ist doch lächerlich. Und hinterher tut es ihm leid und er benimmt sich, als wäre er der netteste Mann auf Erden.“
„Komm schon, Tom, spann mich nicht länger auf die Folter. Was ist denn passiert?“
„Er hat Ute gestoßen. Nur weil sie ihren Wein verschüttet und seine Hose was abbekommen hat. Ich hätte mich beinahe deswegen mit ihm geprügelt, aber Leander hat sich eingemischt und ist mit Rick rausgegangen.“ Er grinst schwach. „War vermutlich die beste Lösung. Für uns alle. Rick hat sich bei ihr und mir entschuldigt und Ute zwei Tage später einen Blumenstrauß geschickt.“ Er öffnet die Autotür. „Sie hatte zwar am Neujahrsmorgen einen
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