Meine Seele weiß von dir
Es ist alles wohlbehalten hier drinnen. Ich habe im Internet gelesen, dass durch traumatische Erfahrungen gespeicherte Informationen schwer oder gar nicht abrufbar sein können. Aber sie werden nicht gelöscht, keine geht verloren. Sie müssen nur eine Möglichkeit finden, an sie heranzukommen.“
„Ja. Natürlich“, stimme ich ihr lahm zu. „Wo ist eigentlich die Kanzlei?“ Ich rühre mit einem enervierenden Geräusch in meiner Tasse. „Von Schubert und Partner meine ich.“
„Im Ort, direkt gegenüber der Post.“
„Frau Hischer, wo, glauben Sie, könnte ich die Papiere zu meinem Scheidungsverfahren aufbewahren?“
Sie nimmt mir den Löffel aus der Hand und legt ihn auf die Untertasse. „In Ihrem Schreibtisch im Atelier.“
„Da habe ich keine gefunden.“
„Tja.“ Sie runzelt die Stirn. „Dann kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. “ Sie steht auf und räumt die schmutzigen Teller ab. „Es wird Ihnen wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als bei Schubert anzurufen.“
„Das ist der erste Anruf, den ich geplant hatte: mein Rechtsanwalt.“
Sie nickt, fragt aber nicht, wem der zweite gilt. Aber sie ahnt es wohl.
„Frau Hischer?“
„Doktor Bornfeld“, antwortet sie, bevor ich mich erkundigen kann, wie mein Gynäkologe heißt. „Gisela Bornfeld. Ihre Praxis ist keine fünf Minuten zu Fuß von Schuberts Kanzlei entfernt. Sie hatten gern alles dicht beieinander, Kindchen. Um so viel wie möglich so schnell wie möglich erledigen zu können. Effizienz nannten Sie das.“
Es lässt sich wohl keinesfalls vermeiden, dass man, wenn man in einem Privathaushalt arbeitet, ungewollt viele familiäre oder auch intime Dinge des Arbeitgebers mitbekommt. Was für ein Glück, denke ich, dass ich einen Menschen wie Frau Hischer erwischt habe!
„Ach, wo wir gerade von Anrufen reden“, sie trocknet ihre Hände ab. „Haben Sie meine Telefonnotizen in der Diele neben dem Telefon gesehen?“
„Nein.“ Mein Puls rast. „Wer hat angerufen. Mein Mann?“
Mitfühlend sieht sie mich an. „Nein“, sie schüttelt den Kopf. „Ihre Mutter und Ihre Schwester. Ihre Mutter lässt Ihnen ausrichten, dass sie schon seit Urzeiten wieder aus der Kur zurück ist. Und ihre Schwester bittet Sie, dass Sie sich am Wochenende nichts vornehmen.“
„Hat sie gesagt, warum?“
„Sie will mit Ihnen gemeinsam einen Besuch machen. Bei Ihrer Mutter.“
Keine Ahnung, warum ich bei dieser Nachricht aufstöhne.
Kurz vor Mittag beschließe ich spontan, bei der Anwaltskanzlei vorbeizugehen, und zwar ohne vorher anzurufen.
Schubert und Partner ist eine Zweimann-Kanzlei. Dem Schild entnehme ich, dass Paul Schuberts Partner Köhler heißt, Doktor Ernst Köhler, und der Notar des Duos ist.
Bis auf einen dicken älteren Herrn ist das Wartezimmer leer. Mir kommt es vor, als ob die Dame am Empfang, eine Frau Nowak, mich erkennt. Sie lächelt und nickt, als ich ihr meinen Namen sage und erkläre, dass ich zwar keinen Termin habe, aber gerade in der Gegend wäre und gerne mit Rechtsanwalt Schubert sprechen würde.
Sie wirft einen Blick in den Terminkalender, der vor ihr auf dem Schreibtisch liegt, und nickt. „Zeit hätte er, soweit ich sehe. Ist es in einer laufenden oder neuen Angelegenheit?“
„Einer laufenden.“
„Würden Sie mir bitte sagen, in welcher Sache?“
Ich fühle mich unbehaglich. Es kostet mich unglaublich viel Mühe und mein Mund ist ganz trocken, als ich ihr antworte. „Hohwacht. Ich meine, Hohwacht gegen Hohwacht. Es handelt sich um ein Scheidungsverfahren.“
Frau Nowak lächelt und weist mit der Hand in Richtung Wartebereich. „Setzen Sie sich. Ich werde sehen, was ich tun kann.“
Ich tue, worum sich mich bittet, und nicke dem Herrn einen Gruß zu, worauf er eine Zeitschrift, in der er gelesen hat, sinken lässt und mir erzählt, dass er zu Doktor Köhler möchte. Dem Notar. „Nicht, was Sie denken.“ Er kichert und zwinkert mit den Augen, bevor er die Katze aus dem Sack lässt. „Ich habe keineswegs vor, mein Testament zu machen – sondern einen Ehevertrag aufsetzen zu lassen.“ Er sieht aus wie ein sehr zufriedener Buddha. „Wer hätte gedacht, dass ich nach Ilses Tod noch einmal heirate?“, murmelt er. Beinahe entschuldigend fügt er hinzu, dass Ilse nicht gewollt hätte, dass er allein bleibt, und dass Anna eine feine Frau ist. Nur die Sache mit seinen Kindern, tja, die müsse sich erst noch regeln. Daher der Ehevertrag. Zusätzlich zum Testament.
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