Meine Seele weiß von dir
pflichtschuldigst, dass ich sicher sei, er tue das Richtige, gratuliere ihm zu seinem Glück und bin mir der Ironie der Situation bewusst: hier ein alter Mann im Spätherbst seines Lebens, der noch einmal den Bund fürs Leben eingeht – dagegen ich; noch ziemlich jung, und scheinbar am Ende meiner Ehe.
Frau Nowak kommt herein. In dem grauen Hosenanzug und mit der Perlenkette, die sie trägt, verströmt sie eine unaufdringliche Kompetenz. Sie wirkt genau so, wie ich mir die rechte Hand eines Anwalts, Managers oder auch Politikers vorstelle. Sie bringt mich zu Schubert. Leise schließt sie die Tür hinter mir.
Rechtsanwalt Schubert wuchtet seinen Körper aus dem Stuhl, schaut mich über eine Brille mit runden Gläsern hinweg an und schüttelt mir erstaunlich lasch die Hand. „Frau Hohwacht!“ Er lässt meine Hand los und deutet auf einen der Lehnstühle vor seinem Schreibtisch, bevor er sich setzt. „Bitte, nehmen Sie Platz.“ Er greift nach einer der Akten. Diese legt er vor sich hin, ohne sie zu öffnen.
„Was kann ich für Sie tun?“
In knappen Sätzen setze ich ihn über meinen Unfall und die Folgen in Kenntnis. Dabei beschreibe ich ihm die Situation so sachlich wie möglich.
„Das ist mit Abstand die unglaublichste Geschichte, die ich je gehört habe!“, dröhnt er. Er schlägt mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Es kracht ziemlich laut.
Ich fahre zusammen. „Aber sie ist wahr. Sie können sich mit meiner Therapeutin in Verbindung setzen, wenn dies nötig sein sollte.“
Er winkt ab. „Vorerst wohl nicht. Es sei denn, ich soll juristisch für Sie tätig werden; wobei es nicht ohne Belang ist, welcher Art diese Tätigkeit sein soll. Denn – offen gestanden – befinden Sie sich in einer Ausnahmesituation. Ähnlich, als wenn Sie nicht im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte wären … ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen. Ich müsste mich diesbezüglich schlaumachen, Frau Hohwacht.“
„Das verstehe ich.“
„Falls es sich jedoch nur um eine Beratung handelt, stehe ich gerne zur Verfügung.“
„Eigentlich geht es mir um eine Sachstandmitteilung. Ich möchte wissen, wie weit mein Scheidungsverfahren fortgeschritten ist.“
„Das ist nur zu verständlich.“ Er hebt bedeutungsvoll die Augenbrauen, bevor er gedehnt antwortet. „Es ruht.“
Irritiert starre ich ihn an. „Es ruht?“
„Ja.“ Er schlägt die Akte auf, blättert darin herum. „Sie haben hier Ende April Ihre persönlichen Unterlagen zur Verwahrung hinterlegt und darum gebeten, Ihrem Mann über Doktor Rupert – das ist der gegnerische Anwalt – unbedingt zum fünften Mai mitzuteilen, dass Sie die Scheidung zurückziehen möchten.“
Der fünfte Mai!
Das ist unser Hochzeitstag.
„Sie wollten es noch einmal mit Ihrem Mann versuchen, Frau Hohwacht.“ Wieder beäugt er mich über den Rand seiner blitzenden Brillengläser. „Wie Sie mir anvertrauten, fehlte Ihnen jedoch der Mut, ihm gegenüberzutreten. Sie fürchteten sich wohl davor, zurückgewiesen zu werden. Sie sagten, es fiele Ihnen leichter, über diesen Umweg eine womöglich abschlägige Antwort entgegenzunehmen.“
Ich war demnach feige gewesen.
„Allerdings ...“
„Ja?“
„Allerdings“, setzt mich Schubert in Kenntnis, „hat sich Ihr Mann zu betreffendem Schreiben nicht geäußert. Auch nicht auf unser Folgeschreiben. Daraufhin habe ich mit Doktor Rupert telefoniert, der mir sagte, dass er Ihren Mann nicht erreichen konnte. Er sprach lediglich mit einer Frau Westermann, die versicherte, dass Herr Hohwacht sich mit Doktor Rupert in Verbindung setzen würde. Was er aber – wie gesagt – unterlassen hat.“
„Westermann?“
Schubert blättert noch einmal in den Seiten. „Ja. Hier steht es in der Aktennotiz. Westermann.“
Als ich die Kanzlei verlasse, hat die Praxis der Frauenärztin bereits geschlossen. Ich werde das Gespräch mit ihr wohl oder übel auf die kommende Woche verschieben müssen.
Ich komme an einer Imbissbude vorbei. Der Duft von heißem Öl, Pommes und gegrillten Würstchen zieht mich an wie ein Magnet. Also gehe ich hinein und esse eine Currywurst.
Zuhause koche ich mir Kaffee, ziehe mich mit der Tasse in die Abgeschiedenheit meines Schrankes zurück und sortiere meine Gedanken. In den letzten Tagen prasseln die Informationen und Erinnerungsblitze wie ein Meteoritenschauer auf mich herab.
Manches macht Sinn und hilft mir weiter. Anderes, wie die Sache mit der zurückgezogenen Scheidung, verwirrt mich.
Wenn ich die
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