Meine Seele weiß von dir
Scheidung nicht mehr wollte und Leander dies habe mitteilen lassen, wieso wusste er dann nichts darüber? Dass dies so ist, dafür spricht seine Verhaltensweise! Er war es gewesen, der mir gesagt hatte, dass ich die Trennung will – kein Wort von einem späteren Versöhnungsversuch.
Oder welchen Grund sollte er haben, mir zu verschweigen, dass ich eine Aussöhnung wollte, er aber nicht. Mir jedenfalls fällt keiner ein!
Schließlich war er jeder Liebkosung und Zweisamkeit ausgewichen, aus seinem Zuhause ausgezogen und lebte sogar mit einer anderen Frau zusammen. Ganz so, wie man es von einem Mann erwarten kann, dessen Ehe beendet ist.
Und der möglicherweise vor seinen Gefühlen für seine Noch-Ehefrau zurückschreckte. Aus Angst davor, ein weiteres Mal verletzt zu werden.
Denn für Leander musste sich die Sache doch so darstellen, dass ich lediglich durch meine Amnesie glaubte, ihn zu lieben. Folglich würde, sobald ich mein Gedächtnis zurückerlangte, eine erneute Trennung unvermeidlich sein. Das wollte er sich verständlicherweise ersparen. Deshalb ließ er keine Nähe, keine Zärtlichkeiten zu.
Er hatte nicht den Schatten einer Ahnung, dass ich eine Versöhnung angestrebt hatte.
Und warum nicht?
Weil ihn diese Nachricht, die Anrufe und Briefe unserer Anwälte, nie erreichten.
Gut. Es kommt hin und wieder vor, dass Briefe auf dem Postweg verloren gehen. Aber gleich zwei in Folge? Ziemlich un wahrscheinlich.
Ich trinke den letzten Schluck des lauwarmen Kaffees und lehne meinen Kopf gegen die Schrankwand. In gleicher Weise, wie sich die Wirkung des Koffeins in mir ausbreitet und mich belebt, breitet sich auch ein unterschwelliger Groll aus.
Jemand wollte nicht, dass er diese Briefe bekam. Jemand hatte seine Post genommen, geöffnet, gelesen und verschwinden lassen. Jemand hatte seine Anrufe beantwortet und diese Tatsache stillschweigend für sich behalten. Jemand, der verhindern wollte, dass wir wieder zusammenkamen.
Und dann fällt mir ein, warum mir der Name Westermann bekannt vorkommt.
„Claudia“, würge ich hervor und mein Groll verwandelt sich in ungezügelte Wut, die aber ebenso rasch verschwindet, wie sie gekommen ist.
Sicher, was sie getan hat, ist hinterhältig, gemein und ganz schön riskant – aber auch nachvollziehbar. Wenn ein Mensch sie verstehen kann, dann ich. Sie will Leander für sich.
Aber, verdammt nochmal, das will ich auch! Und die Tatsache, dass sie mit solchen Bandagen kämpft, macht mir die Sache leichter. Es macht Claudia weniger verletzbar, setzt sie sogar ins Unrecht. Das Wissen, dass sie mich, ohne mit der Wimper zu zucken, aus dem Weg räumen würde, vertreibt mein schlechtes Gewissen, das ich bisher verdrängen musste. Natürlich, es wäre angenehmer, gäbe es keine zweite Frau. Die Andere.
Aber es ist, wie es ist.
Bitter.
Denn eine von uns wird Leander verlieren.
Kapitel 28
Okay.
Es ist so weit.
Samstagmorgen, zehn Uhr. Lisa steht hupend in der Auffahrt. Als ich aus dem Fenster sehe, gestikuliert sie wild und zieht Grimassen. Ich glaube, sie will mir bedeuten, dass ich mich beeilen soll.
Auf eine Art bin ich froh, dass wir heute zum Mittagessen zu meiner Mutter fahren. Das bringt mich auf andere Gedanken. Heute Morgen, nachdem ich mich zum Ausgehen fertiggemacht hatte, wollte ich Rainer Marias Napf mit ausreichend Trockenfutter füllen, damit er den Tag über nicht hungern muss. Ich hielt schon die Schachtel und seine Schale in der Hand, doch erst als die ersten Bröckchen mit einem klirrenden Geräusch hineinfielen, wurde mir wieder bewusst, dass er tot ist.
Ich warf beides in den Abfall, auch das übrige Zeug von ihm, und brachte alles raus zur Mülltonne, weil ich es nicht aushalten könnte, wenn mir das noch einmal passieren würde. Danach habe ich geweint. Ziemlich lange. Meine Wimperntusche verlief und ich musste mich noch einmal fertigmachen. Deshalb bin ich ein bisschen spät dran.
Draußen wird das Hupkonzert fortgesetzt und kurz darauf ein Stück die Straße runter von Bens wütendem Gebell begleitet, zu dem sich Hennings „Still, Ben! Aus!“ gesellt.
Ich werfe noch einen raschen Blick in den Spiegel, zupfe den Spitzeneinsatz meiner cremefarbenen Bluse zurecht , die ich zu einer hellbraunen Leinenhose trage. Dann nehme ich meine Tasche und laufe zum Auto. Bevor ich einsteige, signalisiere ich Henning meine Entschuldigung für die Huperei, indem ich lautlos, aber überdeutlich mit den Lippen „Sorry!“ formuliere. Er
Weitere Kostenlose Bücher