Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Seele weiß von dir

Meine Seele weiß von dir

Titel: Meine Seele weiß von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
Vom Netzwerk:
wieder sehen müsste, dass ich nicht mehr deine Frau sein könnte. Etwas, bei dem es kein Zurück mehr gab. Du solltest mich von dir stoßen, weil ich es umgekehrt nicht konnte. Ich wollte ganz sicher gehen, dass du nicht versuchst, zu mir zurückzukommen.“
    Leander dreht mich zu sich um. Auge in Auge stehen wir da.
    „Ich wollte dich verletzen“, ergänze ich kaum hörbar. „So tief und schmerzhaft wie irgend möglich.“
    In traurigem Verstehen lässt er den Kopf sinken. Zwischen uns hat sich erneut ein Riss aufgetan. Das Schweigen, das folgt, scheint undurchdringlich.
    „Ja“, sagt er schließlich im Flüsterton. „Und das ist dir gelungen. Aber wenn ich dich so ansehe, Sina, dann kommt es mir so vor, als würdest du nicht weniger bluten.“
    Ich habe das Gefühl, ich hätte glühende Kohlen verschluckt, die hart und heiß in meinem Magen liegen.
    Leander blinzelt. Seine Augen sind wieder ruhig und klar. Er lässt sich auf dem Rasen nieder und zieht mich zu sich herunter. Nebeneinander sitzen wir im kühlen Gras.
    Die Klaviermusik verstummt. Eine Nachtigall schluchzt im Apfelbaum, dann setzt die schmeichelnde Musik erneut ein. Ich denke flüchtig, dass es von Hennings Haus her kommt, und frage mich, ob er eine Frau bei sich hat.
    Leander sitzt dunkel und unbeweglich wie ein Monolith da. Nach einiger Zeit greift er nach meiner Hand.
    Er drückt sie und gibt mir mit einem Nicken zu verstehen, dass ich weitermachen soll.
     
     
    Kapitel 38
     
    Hin und wieder, eher selten, hatte ich in der Vergangenheit Leander zu einem seiner vertraulichen Termine bei Doktor Yvonne begleitet. Dann saß ich im Wartezimmer und löste die Kreuzworträtsel in den Zeitschriften, während er sich mit Doktor Yvonne vertraulich beriet und sich Ratschläge oder auch Anregungen für seine Sendung holte.
    Bei einem dieser Besuche begegnete mir eine Patientin. Eine junge Frau, beinahe noch ein Mädchen, mit rabenschwarzen Haaren. Es war ein schwülheißer Nachmittag im Juli und ich wunderte mich über das langärmlige Shirt, das sie trug.
    Sie muss wohl gespürt haben, dass ich sie verstohlen aus den Augenwinkeln musterte. „Ich ritze mich“, sagte sie unvermittelt.
    „Was?“
    „Ritzen. Ich schneide mich. Mit Rasierklingen.“ Wie zum Beweis schob sie die Ärmel hinauf und zeigte mir ihre malträtierten Arme. „Ich trage die Klingen immer mit mir herum.“
    Was ich sah, erinnerte mich an einen Strichcode. Die durchscheinende, zarte Haut war mit Schnitten übersät. Alten und frischen. Manche glänzten feucht und orangerot wie Rost. Die Haut um die frischeren Wunden war geschwollen und stellenweise leicht entzündet. Andere waren braun und schorfig oder hatten sich in silbrige Narben verwandelt.
    „ Ich denke gerade darüber nach, es meinen Eltern und meinem großen Bruder zu beichten. Und da dachte ich, ich kann ja schon mal üben. An Ihnen.“ Sie lächelte zaghaft.
    „Oh.“
„Ich habe Bammel, es ihnen zu sagen, Bammel vor ihrer Reaktion. Bestimmt werden sie mich anders behandeln als vorher. Oder? Mir noch mehr Aufmerksamkeit schenken. Und das, das wäre mir zu viel. Ein bisschen ist gut – aber zu viel?“ Nervös schaute sie mich an. „Das halte ich nicht aus. Außerdem werden sie mich fragen, warum ich es tue.“
    „Und warum tun Sie es?“
    Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Aber ich denke die ganze Zeit darüber nach. Und sie“ – sie meinte Doktor Yvonne – „hilft mir dabei.“
    Ich war unendlich erleichtert, als Leander nach mir rief. Später, ich hatte ihm von dem Strichcode-Mädchen erzählt, erfuhr ich, dass er es gewesen war, der sie zu Doktor Yvonne geschickt hatte, nachdem sie bei Leander Late Night angerufen hatte. „Die Sendung stand unter dem Motto Heimlichtuer“ , sagte er.
    Ich erinnerte mich daran. Es ging um Geheimnisse. Um Dinge, die man niemanden anvertrauen konnte oder wollte.
    Damals, nach der Begegnung mit dem Strichcode-Mädchen, war ich erschrocken gewesen. Ich habe Leander nie wieder in die Praxis begleitet. Aber an jenem Tag, als ich zum ersten Mal als Patientin zu Doktor Yvonne kam, dachte ich wieder an das Mädchen. An die Verstümmelung, ihre Wunden und Unwissenheit über die Ursache, ihre Ängste und ihr Vertrauen in Doktor Yvonne.
    Womöglich ahnte ich, dass auch ich mich ritzte, mich selbst verletzte, tief und grausam, ohne genau zu wissen, warum. Ich hatte meinen eigenen Strichcode. Der einzige Unterschied lag darin, dass ich mir in die Seele schnitt und nicht

Weitere Kostenlose Bücher