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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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waren die Wege im Wald gewesen, den Flußlauf hinunter und hinauf, quer durchs Gestrüpp und die steilen Wände des Canons hinauf und hinunter. Manchmal, besonders in früheren Jahren, traf er auf einen Indianer von einer Nachbarsiedlung, aber die Begegnungen waren kurz gewesen, man wußte sich wenig mitzuteilen. Man sagte, daß es viele Fische gäbe oder viele Eicheln. Man fürchtete einen strengen Winter oder erhoffte einen milden. Mehr hatte man einander nicht zu sagen. Und daheim berichtete er von seiner Begegnung mit dem anderen. Und der andere sicherlich genauso von seiner Begegnung mit ihm.
    Zu jeder Zeit war es aber gut gewesen, nicht mit Absicht mit den anderen zusammenzutreffen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Die Weißen waren ihnen im Lauf der Jahre nicht fremd geblieben. Besonders die Yahi wußten, welche Weißen sich nicht an den Mordzügen gegen die Indianer beteiligt hatten, und sie waren klug genug, genau zu wissen, wer nur zu gerne hinauszog, um Indianer, Männer, Frauen, Kinder und Greise zu jagen und zu töten.
    Bisher hatte der wilde Mann von Oroville nicht gewußt, daß es zwei Welten der Weißen gab, aber vielleicht gab es noch mehrere von ihnen, wer konnte das wissen? Hier, in dieser Welt, in der er sich gerade befand, dachte offenbar kein einziger Weißer daran, ihn umzubringen, wenn auch der Schaffner, der jetzt in einer dem wilden Mann seltsam erscheinenden Kleidung zu ihnen kam und den Professor freundlich grüßte, sie eher mißtrauisch ansah. Aber offenbar hatte der Professor einen Zauber in der Tasche, den er hervorholte und vorwies. Der Fremde nahm die Zauberplättchen an und prüfte sie mit einer seltenen, glänzenden Waffe, die der Indianer noch bei keinem Weißen gesehen hatte. Dann gab er die Plättchen zurück, als wäre nichts geschehen, aber der Indianer bemerkte, daß diese glänzende Waffe kleine runde Löcher in die Plättchen gebissen hatte, was der Professor offensichtlich übersah. Möglicherweise war jetzt der Zauber zerstört. Er mußte den Professor warnen. Er beugte sich vor und sprudelte in der Sprache der Yahi hervor, was er konnte, um den Professor auf den Schaden aufmerksam zu machen, den der fremde Mann angerichtet hatte. Dann aber sah er Batwi wie einen Weißen lachen. Höhnisch und überlegen, und er wußte, daß er sich bloßgestellt hatte, und zog sich in sich zurück.
    Waterman konnte dem Neuen erklären, was er wollte, und ein dutzendmal sagen, daß dies o. k. sei, er war nicht erreichbar und es nützte nichts, daß Waterman Batwi sehr scharf zurechtwies, so sehr, daß dieser vergaß, die Beine übereinanderzuschlagen. Der freigelassene Gefangene war in Gedanken in den Wäldern am Waganupa, spürte die rissige Rinde einer Kiefer, roch ihr Harz und hörte das Singen des Windes in ihren Nadeln...
    Kurz vor elf rüttelte ihn der Professor wach. Sie waren in San Francisco. Der Lärm, der in der riesigen, verrußten Halle herrschte, die vielen Menschen, die zu dieser Zeit noch hin und her liefen, bestürzten ihn. Unsicher, mit steifen Beinen und zaghaftem Tritt, stieg er das steile Treppchen vom Waggon auf den Bahnsteig. Ihm war klar, daß er sich hier nicht mehr verstecken, daß er hier nicht mehr fliehen, aber auch nicht mehr hungern mußte. Dennoch beschlich ihn Angst. Bisher hatte er in einer Welt gelebt, die ihm vertraut war, die er besser kannte als irgendein Weißer, in der er sogar die Rufe der Vögel verstand. Hier war er dumm wie ein neugeborenes Kind. Allen war er ausgeliefert, sogar dem charakterlosen Batwi.
    Auf dem Weg zum Ausgang kamen sie an der riesigen Lokomotive vorbei, genau in dem Augenblick, da der Lokomotivführer Dampf abließ. Der Indianer floh entsetzt vor der weißen feuchten Wolke, und Waterman mußte ihm nachspurten und ihn halten. Er klopfte ihm auf die Schulter und beruhigte ihn.
    »Ist ja nichts«, sagte er auf englisch, aber der Neue begriff den Sinn der Worte und beruhigte sich.
    Draußen stiegen sie in einen offenen Wagen, der sie die hell beleuchteten Straßen zu den Parnassus Heights hinauffuhr. Der Indianer wußte nicht, daß ein furchtbares Erdbeben die Stadt vor fünf Jahren zerstört hatte. Er konnte nicht erkennen, wo die schweren Schäden schon behoben oder wo sie nur oberflächlich beseitigt waren. Er war müde und sah das Ganze wie einen Traum.
    Als er das Haus auf den Parnassus Heights betrat, es war die ehemalige juristische Fakultät und sollte nun das Völkerkundemuseum werden, war der neue Tag angebrochen. Es war der

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