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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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fortwährend beschwörende Zeichen mit einem kleinen Stift auf Papier schrieb.
    Nachdem Dr. Pope die Größe gemessen hatte, führte er den stark abgemagerten Mann zur Waage, um ihn zu wiegen. Der spürte zunächst, daß der Boden unter ihm schwankte und war mit einem Satz von der Waage herunter und in der Ecke des Zimmers. Es bedurfte viel guten Zuredens von seiten Dr. Popes, er stieg selbst ein paarmal auf die Waage und führte auch vor, wie sich die weiße Frau ohne Angst auf dieses kleine schwankende Viereck stellte, bis der Indianer es endlich noch einmal versuchte. Dann konnte er sich anziehen, und Waterman erschien wieder. Das beruhigte ihn sehr.
    »Nun?« fragte Waterman.den Doktor, »wie steht es mit ihm ?«
    »Sein Allgemeinzustand ist ganz gut. Er hat natürlich Untergewicht, aber das wird sich ja in einiger Zeit von selbst geben. Mit der Lunge, da bin ich nicht so ganz zufrieden, da waren Geräusche.«
    »Etwas Ernstes, Doc?«
    »Nicht alarmierend, Professor. Aber man muß es im Auge behalten. Er ist noch sehr scheu, ich möchte ihn also mit einer langwierigen Untersuchung nicht erschrecken. Was er vor allem braucht und was ihm zunächst am meisten weiterhilft, ist Vertrauen, nur so kann er den Verpflanzungsschock, und der muß für ihn gewaltig sein, überstehen. Er hat ja keine Ahnung, was wir hier mit ihm machen. Wenn Ihre Indianerworte dazu ausreichen, erklären Sie ihm das ein bißchen. Der Mann hat ja nicht nur die Entfernung vom Mill Creek zurückgelegt, er ist doch ein Mill-Creek-Indianer ?«
    »So sagen die Weißen. Er selber sagt, er sei ein Yahi.«
    »Gut, dann werde ich auch Yahi zu ihm sagen.« Er ging sofort auf den Indianer zu und machte ein gestenreiches Spiel, er tippte ihn mit dem Zeigefinger an und sagte: »Du Yahi?« Im Zusammenhang mit der Berührung begriff der ihn. Er nickte und sagte etwas Unverständliches, aus dem Dr. Pope nur das Wort Yahi heraushören konnte.
    »Gut, du bist ein Yahi, aber was bin dann ich? Wie heiße ich? Sag’s mir!«
    Der Indianer verstand. Er sagte dem Doktor, daß er ein »Saltu« sei, ein anderer.
    »Können Sie ihm nicht etwas geben, Doc, das im Gegenteil zu dem, was Sie sonst verschreiben, wohlschmeckend ist und ausnahmsweise nicht schadet?« fragte Waterman.
    Saxton Pope grinste. »Wir haben einen sehr guten Hustensaft, der braun ist und süß schmeckt, der schadet garantiert nicht, wenn er auch nicht viel nützt. Wann werden Sie endlich begreifen, Professor, daß Worte und Zuhören die beste Medizin sind? Hm?«
    »Also muß er schnell ein paar Worte Englisch lernen.«
    »Das wäre gut. Ich hab mich vorhin durch meine Frage selbst unterbrochen. Ich wollte sagen, er hat ja nicht nur die paar hundert Meilen vom Mill Creek hierher zurückgelegt. Sie müssen sich vor Augen halten, daß der Mann aus der Steinzeit in unser verrücktes zwanzigstes Jahrhundert katapultiert wurde, mitten hinein ins Industriezeitalter. Er ist der einzige Mensch, von dem ich weiß, daß er praktisch in ein paar Stunden das zurückgelegt hat, wozu die übrige Menschheit zehntausend Jahre brauchte. Darum würde ich ihn gerne so oft wie möglich sehen. Bringen Sie ihm als erstes bei, wie er den Weg zu mir findet.«
    Die Assistentin Dr. Popes hatte sich entfernt und kam nun mit einem Zweihundertfünfziggramm-Fläschchen, hübsch zugekorkt und mit weißer Schleife versehen, zurück. Sie überreichte das Fläschchen mit einem Knicks dem Doktor, und der Doktor winkte den roten Mann heran und überreichte es ihm.
    Die Augen des Indianers strahlten. Dr. Pope war der erste Weiße, der ihm ein Geschenk machte.
    Waterman hatte die Szene beobachtet und sagte noch in der Tür: »Ich hab’ das Gefühl, das war jetzt sehr wichtig, Doc.«
    »Ich seltsamerweise auch. Wir sehr gescheiten Menschen haben vollkommen den Sinn für rituelle Handlungen verloren.«

    Am Nachmittag zeigte Professor Waterman dem Indianer das Gelände der Universität in Berkeley. Sie waren über die Bucht herübergekommen. Die Fahrt auf dem Fährschiff hatte ihn offensichtlich weniger geängstigt als die Fahrt in der Eisenbahn. Und hier in Berkeley zwischen den verschiedenen Universitätsinstituten war es für Waterman schwer, dem wilden Mann zu erklären, was die Weißen hier taten.
    Seine erste Lehrerin war die Mutter gewesen, die »Höhere Schule« hatte er, von älteren Männern angeleitet, absolviert. Er hatte gelernt, nicht blind im Wald zu gehen, nicht unüberlegt auf Lichtungen hinauszulaufen. Es war ihm in

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