Meine Spur löscht der Fluß
machen. Ich möchte Sie engagieren.«
»Mich? Ja, wofür denn?«
»Für’s >Orpheum<. Und damit gleich Klarheit herrscht, Sie und diesen Wilden. Es geht um die Menschlichkeit, Herr Professor. Sie und der letzte wilde Mann der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ich möchte Sie nicht als Nummer im Programm führen, sondern ausdrücklich als Zwischenakt oder als Zweimannakt. Vielleicht mit Orgelmusik unterlegt oder wenigstens von einem Harmonium. Und der Titel des Zwischenaktes, ein sehr schöner Titel, Herr Professor, das werden Sie zugeben, soll heißen: >Bildung und erbauliche Belehrung«.«
Kroeber räusperte sich.
»Sie müssen sich das so vorstellen: Der Vorhang geht auf, und da steht Ihr wilder Mann ganz allein auf der Bühne, mitten im Scheinwerferlicht. Und Sie sagen im Hintergrund: >Das ist Ishi, der letzte seines Stammes, der letzte Wilde von Nordamerika.< Dann sagen Sie, daß er keine Frau und keine Kinder hat. Und dann fahren Sie fort, Herr Professor: >Früher einmal war er ein glücklicher Mensch, und alle seine Stammesbrüder und -schwestern waren auch glückliche Menschen. Sie ritten auf ihren Pferden und wohnten in ihren Zelten, sie lebten, wie es in der Bibel so , schön heißt, wie die Vögel des Himmels und die Lilien auf dem Felde.< Und von jetzt an werden Ihre Worte von dumpfen Paukenschlägen untermalt: >Dann aber kam der weiße Mann ins Land und tötete alle seine Stammesbrüder und -schwestern. Aber wie sagt schon Jesus so treffend in der Bergpredigt? Auge um Auge, Zahn um Zahn...<« 1
»Hören Sie auf!« rief Kroeber, »das ist erstens nie aus der Bergpredigt und zweitens auf keinen Fall von Jesus. Das ist Altes Testament. Nein, das kommt nicht in Frage, ich lasse weder mit mir und schon gar nicht mit Ishi derartige Schaustellungen veranstalten.«
»Sie hätten ein sehr schönes Honorar bekommen, und Ihrem Wilden wäre für’s erste geholfen gewesen, womit soll er denn sonst Geld verdienen?«
»Für Ishi ist gesorgt«, erwiderte Kroeber. »Ich bedaure, aber ich habe zu tun.«
Ishi war bekannt geworden. Kroeber wurde die Besucher nicht mehr los. An manchen Tagen gaben sich die Leute, die mit Ishi Geschäfte machen wollten, geradezu ein Stelldichein auf den Parnassus Heights. Da waren Wanderzirkusinhaber, Schausteller, die Ishi auf Jahrmärkten und ähnlichen Veranstaltungen gegen Geld besichtigen lassen wollten. Ja, eine Trapezgruppe, die von Ishis Leben im Cañon gelesen hatte, fragte an, ob er nicht seine Kunststücke am Seil in ihre Nummer mit einbauen könnte. Filmleute wollten mit Ishi drehen, und einer wollte Ishi sogar in einem Guckkastenunternehmen herzeigen, in dem man sonst nur nackte Frauen bewundern konnte.
Von all dem Wirbel um ihn herum blieb Ishi unberührt. Erstens erfuhr er nichts davon, welche begehrte Persönlichkeit er inzwischen geworden war, zweitens hätte er kaum verstanden, was man mit ihm beabsichtigte.
Er begriff auch nicht, was ein Journalist von ihm wollte, der ohne Pause auf ihn einsprach und seine Worte mit weit ausholenden Gesten, die Ishi an die ersten Flugversuche eines jungen Adlers am Waganupa erinnerten, begleitete. Batwi kam und dolmetschte ein bißchen. Nur, Ishi verstand immer noch nicht. Wie sollte er auch verstehen, was Unterhaltung war, was Varieté, was Schau? Der Journalist wollte nur, daß Ishi sich alles ansehe, er bekäme einen prima Logenplatz. Batwi könne auch mit, und über Ishis Eindrücke vom Theater wollte er eine schöne Story schreiben.
Ishi begriff fast nichts und verlangte, daß Kroeber entscheiden solle. Kroeber war sein »big chiep«, und was Kroeber, zu dem er schnell Vertrauen gefaßt hatte, weil er so viele Yanawörter kannte, sagen würde, sei schon recht.
Kroeber fand nun, daß es vielleicht ganz gut sei, wenn Ishi einmal sehen könne, was andere mit ihm vorhatten, und stimmte dem Vorschlag des Journalisten zu. Der besorgte die Karten für eine Loge. Und so brach am nächsten Abend eine kleine Gruppe von Parnassus Heights zum Varietetheater auf. Kroeber und Waterman, den Ishi Watamany nannte, waren mit von der Partie.
Der Journalist war zunächst sehr enttäuscht, denn Ishi interessierte sich nicht im geringsten für das, was auf der Bühne vor sich ging, auch wenn die Mädchen da unten noch so schön waren. Er schaute während der ersten beiden Nummern nur in den Zuschauerraum, weil da dicht neben- und auch übereinander so viele Menschen in einem Raum waren. Das kannte er nicht. Das hatte er sich bisher nicht
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