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Meine Spur löscht der Fluß

Meine Spur löscht der Fluß

Titel: Meine Spur löscht der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
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vorstellen können.
    Von welchem Zauber waren die vielen Weißen ergriffen, was bannte sie, warum sahen sie alle in eine Richtung? Er begriff es nicht, denn was sich auf der Bühne abspielte, konnte nicht der Grund sein. Warteten sie auf etwas? Würde da unten ganz überraschend etwas geschehen? Etwa ein Dämon auftauchen, gar der riesige, der Feuer fraß und Rauch und Funken spie?
    Ab und zu stürzte ein auffallend gekleideter Mann auf die Bühne, unterbrach die Vorstellung und machte, ohne daß Ishi das verstand, auf ihn aufmerksam.
    »Und dort oben in der Loge ihr alle seht
    den Indianer von der Universität.«
    Dann klatschten die Leute und winkten Ishi zu, und er winkte zurück, weil er sich dazu verpflichtet fühlte.
    Der Mann verschwand, und die Vorstellung ging weiter; die Gesichter wandten sich wiederum von Ishi ab, und er konnte in Ruhe überlegen. »Hansi saltu«, flüsterte er und begriff nicht, warum die Leute hierhergekommen waren, warum sie sich derart zusammenpferchen ließen, wie die Eicheln in einem Vorratskorb oder wie getrocknete Lachse. Wieder stürzte der Reim-dich-oder-ich-freß-dich-Mann, der in einem anderen Akt als Schnelldichter auftrat, auf die Bühne und schrie:
    »Damit ihr alle seid im Bilde,
    dort sitzt Kaliforniens letzter Wilde!«
    Das fanden die Leute herrlich, und sie brachten Ishi Ovationen dar.
    Batwi hatte es aufgegeben, Ishi für das Geschehen auf der Bühne zu interessieren, er selbst genoß jetzt nur noch die Darbietungen und fühlte sich wie immer über Ishi sehr erhaben. Außerdem fand er, der Dichter könnte auch über ihn etwas sagen. Aber so oft er auch auf die Bühne stürzte, immer hatte er nur Verse und Reime für Ishi übrig. So auch am Schluß: Da schrie er in die schon aufbrechende Menge hinein:
    »Wir wollen jetzt nach Hause gehn,
    Ishi könnt ihr demnächst im Museum sehn.«

    Daheim in seinem Zimmer entledigte sich Ishi seines Anzuges, nahm den Schlips ab und öffnete den gestärkten Kragen. Er wusch seine Füße, die Unart der Weißen, in Schuhen zu laufen, hatte er sich noch immer nicht angewöhnt, trocknete sie sorgfältig, schüttete das Seifenwasser weg, reinigte die Waschschüssel, hing das Frottiertuch über einen weiß emaillierten Bügel. Seine neueste Errungenschaft war ein kleiner Teppich vor dem Bett, den Kroeber, der »mudjaupa«, aufgetrieben hatte.
    Ishi wußte, daß Waterman, der ihn geholt hatte, keine Angst vor dem riesigen Dämon hatte, diesem Dämon, der sich in die Spur zwingen ließ, die die Weißen eigens für ihn gebaut hatten, Waterman hatte viel zu sagen, allen anderen, die im Museum beschäftigt waren, aber dann war noch Kroeber da, der hatte auch Waterman etwas zu sagen.
    Und das nicht nur deshalb, weil Kroeber der ältere war. Man konnte es auch daran erkennen, daß Waterman einen kleinen Bart hatte, genau zwischen der Oberlippe und den Nasenlöchern. Kroeber hingegen hatte einen Vollbart, von den Schläfen die Wangen hinunter bis übers Kinn.
    Batwi hingegen, diese Schande der Yana, der sich mit den unendlich feigen Maidu eingelassen hatte, Batwi, der die Weißen, die anderen, die »saltu« nachäffte, wo er nur , konnte, Batwi trug einen Kinnbart, der schon weiß wurde, obwohl er eigentlich hätte wissen müssen, daß auch nur ein einziges Barthaar im Gesicht eines Indianers eine Schande war. Batwi war kein echter Yana. Er war zur Hälfte Maidu.
    Er war wohl zu wehleidig, sich — wie Ishi es tat — jedes Barthaar auszuzupfen. Und außerdem war er schlecht erzogen worden, oder er hatte alles vergessen. Batwi trug auch kein Hölzchen im Nasensteg. Obwohl er wissen mußte, daß es Kräfte der Abwehr besaß und einen Mann stark machte. Hatte man Schnupfen, vertauschte man das Stöckchen einfach mit einem Lorbeerblatt, einem fein säuberlich zusammengerollten, oder einem Wacholderzweig, was das Atmen ungemein erleichterte.
    Batwi konnte auch nicht den Boden sehen, weil er Schuhe trug. Schuhe wie die Weißen, hohe, über die Knöchel hinauf. Und darunter hatte er graue wollene Socken. Wie konnten seine Zehen da fühlen, was auf ihn zukam? Und wußte er nicht, daß man die große Zehe hatte, um sie mit ? den Händen zusammen arbeiten zu lassen ?
    Oh, die Wege an den Hängen des Waganupa! Die Wege, die keiner kannte, Wege in Bächen, in kleinen Flüssen. Die Manzanitabeeren im Sommer! Die Frauen sammelten sie in Körben und brachten sie zu den versteckten Hütten. Und sie lachten und lärmten nicht, nur manchmal sangen sie leise,

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