Meine Spur löscht der Fluß
Rücken lehnten. Jetzt teilte sie ihr Brot mit ihm, brach es in der Mitte durch und reichte ihm eine Hälfte. Nachher holte sie eine große Traube aus der Tasche und deutete ihm, daß er sich eine Beere herunterzupfen solle. Ishi schüttelte den Kopf und machte ihr verständlich, daß sie beginnen solle. Und so pflückten sie — immer er nach ihr — die Traube leer, und er bestand darauf, daß seine letzte Beere noch sie nehmen müsse.
Später pflückten sie einige Kräuter, und einige grub Delila Gifford aus, um sie in ihren Garten einzusetzen. Einmal hielt sie mitten in ihrer Arbeit inne und legte ihre Hand auf seine, er verstand sofort und bewegte sich nicht. Im Dickicht auf der anderen Seite der Lichtung knackste es, und dann traten zwei Rehe heraus.
Ishi wußte, mit keiner anderen Frau hätte er so stehen können. Vor jeder anderen Frau wären die Rehe auf und davon gelaufen. War Mrs. Gifford eine Yahi-Frau? Ein Blick zur Seite bestätigte ihm, daß sie kaum atmete. Die Rehe kamen, da der Wind aus ihrer Richtung wehte, bis auf etwa acht Meter an sie heran, drehten dann nach links ab und verschwanden wieder im Wald.
Mrs. Gifford und Ishi sahen einander wortlos an und lächelten.
Zum Abschluß saßen sie auf einem Felsblock genauso hoch wie eine Bank. Mrs. Gifford bat Ishi um ein Yahilied. Er stand auf und setzte sich auf einen Felsblock ihr gegenüber und sang. Er hielt den Kopf geneigt, als müsse er sich ganz auf die Worte und die Melodie konzentrieren. Hätte Delila Gifford den Text verstanden, hätte sie das Lied als sehr eigenartig empfunden. Es ging um den Glauben der Yahi, daß jeder Indianer vorher, in einem früheren Leben, ein Tier war. Es nützte nichts, daß ein junger Mann sich fragte, warum das Mädchen, das er liebte und verehrte, ihn nicht wiederliebte, obwohl er schön war und wohlerzogen. Sie liebte einen ganz anderen, nicht so ansehnlichen jungen Mann. Der abgewiesene Verehrer konnte sich noch soviel den Kopf zerbrechen, er wußte nicht, warum er verschmäht wurde. Er fragte eine weise Frau, und die gab ihm zwar nicht die volle Erklärung, aber immerhin einen Schlüssel dazu. Vielleicht bist du eine Wildkatze gewesen und sie eine Singdrossel. Und wie kann eine Singdrossel die Wildkatze lieben, die ihre Jungen gefressen hat?
Als sie einige Minuten still gesessen hatten, fragte Delila, ob Ishi Tierrufe nachmachen könne.
Er konnte einige. Verschiedene Wachtelrufe, das Quieken des grauen Eichhörnchens, das Schnattern der Wildgans, das Heulen des Koyoten und das ängstliche Wimmern, mit dem ein Rehkitz seine Mutter herbeiruft.
Zu seiner Überraschung konnte die junge Frau seine Rufe mühelos nachmachen. Und so gingen sie heim, einige Meter voneinander entfernt, Tierrufe nachahmend und vollkommen in sich versunken.
Nur einmal erstarrte Ishi. Er hatte den Ruf des Bergwachtelhahnes nachgeahmt, mit dem dieser sein Weibchen anlockt.
Und Delila Gifford hatte ganz in Gedanken mit dem leisen Gluckern des Bergwachtelweibchens geantwortet.
Sie war so mit ihrem Gluckern beschäftigt, daß sie den erstarrten Ishi nicht bemerkte.
Eine Stunde später war Ishi ihr behilflich, die ausgegrabenen Kräuter im Kräuterbeet ihres Gartens anzupflanzen. Er schleppte die volle Gießkanne und goß die Kräuter kräftig.
Als Delila Ishi fragte, ob er baden wolle, sagte er sofort ja. Ishi badete im Museum täglich, ganz im Gegensatz zu seinen weißen Kollegen, die fanden, ein Bad zum Wochenende, und höchstens ein zweites zwischendurch, sei eigentlich genug.
Delila Gifford ließ das Wasser in die Wanne planschen und hängte für Ishi zwei frische Frottiertücher über den Bügel. Als sie sich dann in der Küche an die Zubereitung des Dinners machte, kam ihr Mann und fragte etwas befremdet, ob sich ein See-Elefant im Bad eingeschlossen habe.
Sie lachte und fragte: »Wie kommst du auf diese Idee?«
»Hör dir das an«, sagte ihr Mann.
Sie schlichen auf den Flur hinaus. Aus dem Badezimmer drang ein Planschen und Prusten, als amüsiere sich eine ausgewachsene Robbe mitten in der Brandung.
»Das ist Ishi«, klärte Delila ihren Mann auf. »Du hörst, er nimmt ein Bad.«
»Soll ich die Feuerwehr und den Klempner gleich bestellen oder wollen wir abwarten?« Edward Gifford konnte bei diesem Geplansche unmöglich heiter bleiben. »Wie konntest du ihm nur ein Bad anbieten? Wir kennen ihn beide zu wenig. Schließlich ist er das erstemal in unserer Wohnung. «
»Verzeih, Liebling, aber Frau Kroeber sagte
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