Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
zweimal in
drei Tagen musste ich mich als Fußgänger in der »Fußgängerzone« durch Hechtsprünge in Hauseingängen vor heranbrausenden Alfas retten, was eine vergleichsweise harmlose Bilanz war. Am ersten Tag schlenderte ich durch die Stadt bis zur Piazza Duomo, ein harmonisches Barock-Ensemble von Dom und Bischofssitz, wenn man denn erst einmal den Eingang zu dem prächtigen Platz gefunden hat, der nämlich nur von einer Seite zugänglich ist. Wie gehabt, wurde es um 17 Uhr dunkel, und ich wartete von meiner kleinen Wohnung aus, und wartete, und wartete, während mein Magen anfing, sich aus lauter Hunger selbst zu verdauen. Darüber war es 21 Uhr geworden, und ich hastete auf die Straße. Freunde hatten mir das »Corte dei Pandolfi« empfohlen, eine Wein- und Pastabar in der Altstadt. Sie hatten mir auch die Warnung mitgegeben, dass viele Restaurants der Altstadt nicht gerade überragende Küche zu bieten hatten; dazu waren die Mieten zu teuer und die Touristen allzu willfährige Opfer.
Um 21.12 Uhr kam ich am »Corte dei Pandolfi« an und rüttelte an der Eingangstür. Nicht zu fassen, das Lokal war noch geschlossen. Es war doch Freitagabend! Das Personal saß gerade beim Abendessen und sprang erschrocken auf. Wer begehrte um diese Zeit Einlass? Das konnte ja nur ein Dieb oder eine Razzia sein. Immerhin öffnete mir eine nette junge Dame und lächelte sogar, während ich meinen dämlichen Standardwitz über die Deutschen und die Hühner riss. »Die anderen Gäste kommen auch bald«, tröstete sie mich. Tatsächlich lagen auf allen Tischen, die mich umgaben, handgeschriebene
Reservierungszettel. Noch vor der Essenskarte brachte mir die Signorina die zehnseitige Weinkarte, was mir gut gefiel. Hier kannte man seine (und meine) Prioritäten. »Sie wählen einen Wein aus, und wir schauen mal, ob wir ihn für Sie aufmachen und glasweise verkaufen können«, sagte sie. Good girl. Und keine Angst: 0,75 Liter kriege ich bei anständiger Bewirtung locker runter.
Es gab Pasta mit Spinat, Käse und Speck, dazu einen gehaltvollen Primitivo, insgesamt ein kräftiges, sättigendes und somit befriedigendes Gericht. Nach und nach kamen die anderen Gäste, und mag es auch seltsam sein, an einem Freitagabend in einer fremden Stadt zu schlemmen, es fühlt sich auf eine seltsame Art auch gut an. Es ist, als wäre man ein Fremder, aber hätte den ersten Schritt getan – und wüsste genau, dass es ein guter erster Schritt war. Vielleicht liegt es auch an meiner bisherigen Bilanz an neuen Kneipen in neuen Städten, etwa an meinen Versuchen, 1995 als Neu-Hamburger auf der Reeperbahn ohne Nachfragen oder Reiseführer die unfehlbaren In-Kneipen zu finden und dabei in Massenschlägereien und Doppelmorde verwickelt zu werden.
Um das Formen der Orecchiette zu lernen, jener Pasta, die geradezu identitätsstiftend für Apulien ist, kann man eine der zahnlosen Alten in der Innenstadt von Bari oder Lecce aufsuchen, die an Holztischchen sitzen (wichtig für die Pasta; wir werden noch sehen, warum) und so aussehen wie die Komparsinnen in italienischen
Filmen mit Ornella Muti – sie stehen in Witwenschwarz am Straßenrand und schütteln den Kopf, wenn Ornella mit ihrem roten Cabrio und flatternden, langen Haaren durch den Ort braust.
Man kann aber auch Cinzia Rascazzo fragen. Die hat nämlich eine angenehme Ähnlichkeit mit Ornella Muti und formt die Orecchiette mindestens genau so gut wie die zahnlosen Alten. Sie ahnen, auf wen meine Wahl fiel.
Cinzia kommt aus Lecce und studierte in Harvard. Dann arbeitete sie ein paar Jahre bei Goldmann Sachs in New York und London, doch sie hatte ziemlich schnell die Nase voll davon. Also kam sie ins kleine Lecce zurück und gründete dort ihre Scuola di Cucina . Vom Frühjahr bis zum Herbst gibt sie Ein-Wochen-Kurse. Ihre Schwester Marika unterstützt sie dabei – sie ist im Hauptberuf Kardiologin (es handelt sich also um eine Familie von echten Überfliegern) und erklärt, wie man nicht nur lecker, sondern auch gesund kocht.
Die Spezialität in Lecce ist etwas wirklich Besonderes: Pasta maritati oder »verheiratete« Pasta. Orecchiette und Cavatelli werden gemeinsam für ein Gericht hergenommen, zu gleichen Teilen, damit sich keine Pastasorte benachteiligt fühlt. Die gefäßförmigen Orecchiette repräsentieren die Braut, die langgezogenen Cavatelli den Bräutigam – die Symbolik muss ich wohl nicht weiter ausführen.
Der Geburtsort ihres Vaters und der Geburtsort ihrer Mutter liegen nur drei
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