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Meine Suche nach der besten Pasta der Welt

Meine Suche nach der besten Pasta der Welt

Titel: Meine Suche nach der besten Pasta der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maiwald Stefan
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Kilometer auseinander, erzählen die beiden. Im Geburtsort von Mama werden die Cavatelli fast zwanzig Zentimeter lang gemacht, im Geburtsort
von Papa sind sie nur halb so groß. Ihr Vater weigert sich bis heute, die langen Cavatelli zu essen.
    Es gibt also nicht nur regionale Unterschiede in der italienischen Küche, sondern auch Unterschiede von Dorf zu Dorf. Das ist mutmaßlich noch ein bisschen extremer im Süden als im Norden, weil im Süden sowohl Großfamilien als auch Dorfgemeinschaften noch homogener und damit traditionsbehafteter sind als im industriellen Norden.
    In Bari also gibt es flache Orecchiette, in Lecce solche mit tiefen Einbuchtungen, denn in Bari und Umgebung werden sie mit Brokkoli und Anchovis gegessen, in Lecce aber mit Tomatensoße, die von den schüsselförmigen Orecchiette aufgefangen wird. Noch weiter südlich im Salento werden sie wieder etwas flacher, weil hier noch der orientalische Einfluss dominiert und viel Süß-Saures in die Pasta geschmissen wird, etwa Zwiebeln oder Paprika.
    Pastamachen sieht einfach aus: Es gibt ja nur zwei Zutaten, Hartweizenmehl und Wasser. (Wer will, kann auch noch etwas Gerstenmehl hinzugeben, das macht man in Lecce gern, weil es früher eine Notwendigkeit war, wenn der kostbare Weizen ausging; es färbt die Pasta bräunlich ein und verstärkt den Geschmack ins Robuste.) Etwas Salz darf auch in den Teig, aber da fängt es schon an. Wie viel Salz genau? Und wie viel Wasser?
    »Es gibt keine exakte Dosierung«, erklärt Cinzia. »Es kommt auf die Luftfeuchtigkeit an, auf die Raumtemperatur, sogar auf die Wärme der Hände.« Also: einfach mal machen. Cinzia, Marika und ich kneteten und kneteten.
Wichtigstes (und sehr oft einziges) Utensil für jegliche Pasta-Verarbeitung: ein Holzbrett. Das nimmt nicht nur die Feuchtigkeit des Teiges auf, sondern sorgt auch für die wichtige raue Oberfläche. Ich merkte bald, dass ich zu viel Wasser genommen hatte, aber ich hatte ja die beiden, die mir perfekte Röllchen Nudelteig hinlegten. Gut, das hätten wir schon mal. Und jetzt ging es ans Orecchiette-Formen. Wie schwierig konnte das schon sein? Doch es war schwierig, denn man braucht eine besondere Technik, will man schnell und effizient arbeiten und gleichmäßige Nudeln produzieren. Gleichmäßige Form ist wichtig, damit später nicht Teile der Pasta schön bissfest geraten und andere Teile zerkocht werden. Statt nämlich ein Stück Teig zu nehmen und auf ihm ein bisschen herumzukneten, wie ich es gemacht hätte, muss man zunächst von der daumendicken Teigrolle mit dem Messer einen Zentimeter abtrennen – das Messer muss sichtbare Zacken an der Klinge haben, wiederum um für eine griffige Oberfläche an der Nudel zu sorgen. Dann führt man Messer und Teig am Holzbrett entlang, als würde man etwas zu harte Butter abkratzen. Der Zeigefinger hält dabei den Teig seitlich an der Klinge. Mit dieser Bewegung entsteht ein dünner Fladen mit etwas verdickten Enden, der sich ums Messer schließt. Dann nimmt man das Messer auf und biegt den noch haftenden Teil des Fladens nach unten, und schon hat man ein schüsselförmiges Etwas, das in meinem ersten Versuch entzwei riss, in meinem zweiten Versuch aussah wie das Blumenkohlohr eines stark mitgenommenen Boxers und schon in meinem dritten Versuch wirklich hübsch wurde. Ich war so sehr auf den
technischen Vorgang fixiert, dass ich wahrscheinlich ein paar Sekunden für die Rechenaufgabe »2+2 =?« gebraucht hätte – wenn ich überhaupt wahrgenommen hätte, dass mir jemand eine Aufgabe stellt, denn in diesem Moment gab es auf der ganzen Welt nur die Pasta, das Messer und mich. Die alten Frauen aus Bari und Lecce schaffen es in hundertfacher Geschwindigkeit, sitzen an ihren Holzpulten und können noch den neuesten Klatsch austauschen. An Sonntagen ist es in Apulien üblich, dass die Großmutter schon um sechs Uhr morgens aufsteht, bis acht Uhr die Pasta für die Großfamilie geformt hat, sie dann trocknen lässt (zwei bis drei Stunden reichen meistens aus) und sie dann zum traditionellen Mittagsmahl mit Brokkoli (Bari) oder Tomatensugo (Lecce) serviert.
    Ich war in den Momenten des Pastaformens der konzentrierteste Mensch der Welt, und das erste gelungene Öhrchen war eine außergewöhnliche Befriedigung. Kein Wunder, dass neuerdings in der Psychologie bei der Behandlung schwerer Fälle mit einer sogenannten Culinary Therapy gearbeitet wird: Diese Küchentherapie stammt aus Frankreich, wird seit einiger Zeit auch in den USA

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