Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
leisten, also füllten sie den Obstkorb mit rohem Gemüse: Karotten, Fenchel, Sellerie. Unbehandelt, ungeschält, ungewürzt. Dieser Gemüsekorb ist heute noch Bestandteil jedes apulischen Gedecks, und es gilt, ihn bitteschön zu leeren. Auch die kleinen Zwischengerichte haben es in sich für jemanden, der zu Gemüse eine eher distanzierte Beziehung pflegt. Der Mensch ist, wie der große Heinz Strunk schon richtig anmerkte, kein Beilagenesser. Gekochte oder frittierte Zwiebeln beispielsweise mussten von mir bei mehreren Gelegenheiten hinuntergeschlungen werden, weil mich der ganze Tisch gespannt ansah und wissen wollte, was ich denn von dieser herausragenden Spezialität halten würde. »Mmmh, gut, gut«, mümmelte ich, während meine Augen tränten.
Ein wagemutiger Gourmethistoriker geht sogar so weit, die Verbreitung von Pasta secca , also Nudeln ohne Eianteil, mit der Armut der Leute in Apulien zu erklären – sie hätten gar keine Eier zur Verfügung gehabt. Dem ist wohl nicht so. Eher sorgte das Klima dafür, dass schwere Eiernudeln einfach nicht zu einer von Fisch
dominierten Küche passten und vor allem in dem heißen Klima auch viel zu wenig haltbar seien.
Was auch erstaunlich ist: Hier in Apulien passt sich der Geschmack sofort an. Ob es die Luft ist oder irgendwelche geheimnisvollen Schwingungen – wer weiß? Jedenfalls ist es mir in den drei Wochen nie in den Sinn gekommen, Tortellini zu bestellen oder auch nur Lust auf Eiernudeln in welcher Form auch immer zu haben. Und das, obwohl ich Apulien in tiefster Winterzeit besucht habe, mit Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt – für süditalienische Verhältnisse eine Jahrhundertkälte. Genauso verliert man mit der Zeit die Lust auf den morgendlichen Cappuccino und trinkt nur einen caffè an der Bar, obwohl man ein Frühstücksbüfett zur Verfügung hat, das einen ganzen Saal ausfüllt.
In Apulien nach der besten Pasta-Art zu fragen, das ist, wie im Vatikanstaat nach der besten Religion zu fragen. Orecchiette natürlich, darum dreht es sich hier. Überhaupt war Apulien lange die Kornkammer Italiens. Noch heute recken sich im wenig ansehnlichen Foggia Getreidesilos wie Hochhäuser in den fast immer blauen Himmel. Die Spanier kamen daher 1647 auf die Idee, eine Mehlsteuer einzuführen und schickten Soldaten als Kontrolleure in die Häuser. Das fand die Bevölkerung schon gar nicht gut, aber als dann die Kontrolleure nicht nur in die Vorratskammern, sondern auch unter die Röcke der Hausfrauen zu schauen begannen, brach ein Aufruhr aus. Acht Tage lang lieferten sich die Einwohner mit der Obrigkeit Straßenschlachten, bis die Spanier auf die Mehlsteuer verzichteten.
Mehl, Brot, Pasta – im über Jahrhunderte armen Apulien
eine Gottesgabe. Man darf hier das Brot nie auf die runde Seite legen, das bringt Unglück, weil man sich von Christus abwendet. Und wer mit Brot verschwenderisch umgeht, wird im Jenseits so viele Jahre im Fegefeuer stehen müssen, wie er Krümel verschleudert hat. Außerdem muss er sie einen nach dem anderen mit den Augenlidern aufheben. Unangenehm.
Die einstige Armut der apulischen Küche sorgte notgedrungen für Kreativität – man machte das wirklich Allerbeste aus dem, was man hatte. Eine besonders eigenwillige Spezialität war die Zuppa di pesce fuggito , »Suppe mit geflohenem Fisch«. Eine Suppe wurde zubereitet, als wäre Fisch zur Hand. Um wenigstens etwas Geschmack vom Meer mitzugeben, kochte man Muschelschalen, Algen und Kieselsteine vom Strand mit. Man muss die Armut wohl nicht allzu sehr glorifizieren. Die meisten Apulier sind heute garantiert gottfroh, dass sie sich frischen Fisch leisten können.
Ein Sprichwort, das vom Stolz der Apulier kündet: »Rindfleisch blamiert den Koch.« Ein Steak kann jeder Depp. Aber aus Hartweizen und störrischem Gemüse und Gerümpel vom Wegesrand etwas Köstliches zu zaubern, das ist die wahre Kunst.
Apulien
Erster!
N ach zwölf Jahren in einer italienischen Familie weiß ich inzwischen, dass man sehr, sehr spät zu Abend isst; je süditalienischer, desto später. Schön. Ich hatte einen langen Tag hinter mir, ich hatte nichts gegessen, es war Anfang Februar und schon seit Stunden dunkel. Aber es war erst Viertel vor sieben. Ich tigerte im Hotelzimmer auf und ab und schaute nach einer halben Stunde wieder auf die Uhr: zehn vor sieben. Ich setzte mich aufs Bett und begann, in meinen Büchern auf dem Nachtschrank zu blättern, aber die Zeilen verschwammen vor meinen Augen.
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