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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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im Innern des Schweins verschwunden, und ich sah mich gezwungen, eine seitliche Lage einzunehmen. Die Steine waren kalt und feucht, aber ich vergaß mein Unbehagen, als meine Finger etwas berührten. Es war ein winziger Schwanz. Fast quer liegend steckte ein großes Ferkel im Leib der Muttersau wie ein Korken in einer Flasche.
    Ich drückte mit einem Finger die Hinterbeine zurück, bis ich sie packen und das Schweinchen herausziehen konnte. »Sehen Sie, deshalb ging es nicht weiter. Das Ferkel ist tot – ist zu stark gequetscht worden. Vielleicht sind noch ein paar lebende Tiere drinnen. Ich werde mal fühlen.«
    Wieder fettete ich meinen Arm ein und kniete mich hin. Genau innerhalb der Uterusmündung ertastete ich ein zweites Ferkel, und plötzlich gruben sich winzige, aber sehr scharfe Zähne in meinen Finger.
    Ich schrie auf. »Na, das hier lebt jedenfalls«, sagte ich zu dem Bauern. »Ich hab’s gleich draußen.«
    Das Ferkel hatte jedoch andere Ideen im Kopf. Es zeigte keine Neigung, den warmen Hafen zu verlassen, und sooft ich seinen glitschigen kleinen Fuß zu packen bekam, zog es ihn weg. Nach ein oder zwei Minuten fühlte ich einen Krampf im Arm. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen, und sofort war ich wieder im Ballsaal, in der Wärme und dem strahlenden Licht. Francois schenkte mir Champagner ein; dann tanzte ich, und der Kapellmeister drehte sich zu mir um und verbeugte sich lächelnd.
    Ich lächelte zurück, aber das Gesicht des Kapellmeisters zerfloss, und nun war Mr. Atkinson da, der ausdruckslos auf mich hinabsah. Mühsam hob ich den Kopf. Es ging doch nicht, dass ich bei der Arbeit einschlief. Wieder tastete ich umher. Diesmal gelang es mir, den Fuß fest mit zwei Fingern zu packen und das Ferkel trotz seines Strampelns herauszuziehen. Als es glücklich draußen war, schien es sich mit seinem Schicksal abzufinden und torkelte zum Euter seiner Mutter.
    »Sie hilft überhaupt nicht mit«, sagte ich. »Na ja, sie ist eben völlig erschöpft. Ich werde ihr eine Spritze geben.«
    Eine weitere mühsame Expedition durch den Matsch zum Wagen, eine Pitruitin-Injektion, und wenige Minuten später setzten starke Wehen ein. Bald darauf wälzte sich ein rosa Ferkel im Stroh, dann noch eines und noch eines.
    »Kommen heraus wie am Fließband«, sagte ich. Mr. Atkinson brummte irgendetwas.
    Acht Ferkel waren geboren, und das Licht der Lampe drohte schon zu erlöschen, als eine dunkle Masse, die Nachgeburt, aus der Scheide der Sau quoll.
    Ich rieb meine kalten Arme. »So, das war’s wohl.« Die kleinen Ferkel tappten unbeholfen zu der langen Doppelreihe der Zitzen, und die Mutter streckte sich aus, um möglichst viel von ihrem Euter den hungrigen Mäulern darzubieten.
    Mich fror plötzlich. Ich machte noch einen Versuch mit der steinharten Seife, aber vergebens. Meine rechte Wange und die Rippen starrten vor Schmutz. So gut es ging, kratzte ich ihn mit den Fingernägeln ab, dann wusch ich mich in dem kalten Wasser.
    »Haben Sie ein Handtuch da?«, keuchte ich.
    Der Sack, den Mr. Atkinson mir wortlos reichte, war an den Rändern steif von altem Dung, und er roch muffig nach dem Mehl, das er vor langer Zeit enthalten hatte. Ich nahm ihn und rieb meinen Oberkörper ab. Als ich das Hemd anzog, hatte ich das Gefühl, in meine eigene Welt zurückzukehren. Bevor ich den Stall verließ, warf ich einen letzten Blick in den Verschlag. Die Fahrradlampe brannte nur noch ganz schwach, und ich musste mich über die Trennwand beugen, um sehen zu können, wie die kleinen Ferkel eifrig und völlig vertieft saugten. Die junge Sau bewegte sich vorsichtig und ließ ein Grunzen tiefer Zufriedenheit hören.
    Auf der Heimfahrt musste ich einmal aussteigen, um ein Gatter zu öffnen. Ich stand eine Weile da und blickte über die dunklen Felder. Meine Gedanken wanderten zurück zu meiner Schulzeit. Eines Tages hatte ein alter Lehrer zu uns über Berufswahl gesprochen. »Wer sich entschließt, Tierarzt zu werden, der wird zwar niemals zu den Reichen zählen, aber dafür ein interessantes und abwechslungsreiches Leben haben.«
    Ich lachte laut in die Dunkelheit hinein. Der alte Bursche hatte Recht gehabt. Abwechslungsreich. Ja, abwechslungsreich war dieses Leben bestimmt.

4 - Susie die kleine Kupplerin
     
    DAS GROSSE WOHNZIMMER IN SKELDALE HOUSE WAR VOLL. Mir schien, als sei dieser Raum mit seinen anmutigen Nischen, hohen Stuckdecken und Balkontüren der Mittelpunkt unseres Lebens in Darrowby. Hier kamen Siegfried, sein Bruder

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