Meine Trauer geht - und du bleibst
und ausdrucksvoll trauern dürfen.
Seit den 70er Jahren hat die Trauerpsychologie plausibel gezeigt, wie wichtig das bewusste, offene und intensive Trauern ist. Sie hat die »weibliche« Trauer nicht nur rehabilitiert, sondern sie nun zum Leitbild für »richtiges« Trauern erhoben. Im einleitenden Trauerdialog drückt dies die trauernde Mutter ganz direkt alsVorwurf an ihren Mann aus. Nun kommt plötzlich die männliche Trauer in den Verdacht, kein angemessenes Trauern zu sein. Manches an der Kritik ist durchaus berechtigt. Viele – nicht alle! – Männer reden distanziert von ihrem Verstorbenen, sie halten ihre Trauer im Griff und zeigen nach außen Härte oder eine sachliche Distanzierung zum Tod ihres geliebten Menschen. Aber auch nach innen versuchen sie sich unempfindlich gegenüber der Trauer zu machen und die Trauer zu verdrängen. Männer sagen: »Das Leben muss weitergehen«, und meinen damit, dass es wenig Zeit und Raum zum Trauern bedarf. Deshalb kehren Männer häufig rasch zur Normalität zurück, was fast immer auch von und in ihrem Beruf verlangt wird. Leben Männer die »männliche« Trauer sehr massiv und einseitig, kann das für sie durchaus destruktiv werden. Die Trauer setzt sich dann im Körper fest und kann an einer Schwachstelle des Körpers mit dazu beitragen, dass sich psychosomatische Beschwerden wie beispielsweise Rückenschmerzen entwickeln.
Dennoch hat die männliche Form des Trauerns auch ihre Berechtigung. Das müssen wir gegen das heute dominierende Leitbild der weiblichen Trauer nun auch wieder neu entdecken. In aller Trauer müssen wir lernen, unsere Trauer auch einmal wegzustellen, sie also vorübergehend zu »verdrängen«. Es tut uns auch gut, unsere Trauer rational zu verstehen, sozusagen unsere Trauer auch zu »denken«. Schließlich sollten wir auch in der größten Trauer immer noch ein Stück Normalität und Alltag leben. So gesehen, ist die männliche Art des Trauerns durchaus ein wichtiger Pol im ganzen Spektrum des Trauerns. Der andere, dazugehörige weibliche Pol hat nun seinerseits seine Berechtigung: Es ist hilfreich, unsere Trauer als Emotion ganz zuzulassen, sie in Tränen abfließen zu lassen, sie im Weinen und Schreien nach außen zu bringen und sie immer wieder und wieder im Gespräch zu formulieren und ihr damit eine Gestalt zu geben. Die Pole männlicher und weiblicher Trauer gehören also zueinander, sind gegenseitig auf sich bezogen und brauchen den jeweils anderen Pol. Im Hin- und Herschwingen zwischen den Polen kann der oder die Trauernde in einen lebendigen und heilsamen Trauerprozess eintreten.
Meine und deine Trauer ergänzen sich
In einer Familie trauert jedes Familienmitglied ganz unterschiedlich. Besonders Elternpaare, die ein Kind verlieren, müssen mit dieser Unterschiedlichkeit, auch mit der Unterschiedlichkeit von männlicher und weiblicher Trauer, umgehen, wollen sich die Partner nicht verlieren.
Es besteht nun die Gefahr – sei es in einer Familie oder in einer Partnerschaft –, dass jeder auf seine Weise trauert und darüber hinaus sich vom anderen nicht verstanden fühlt. Enttäuscht brechen dann die Partner oder die Familienmitglieder den Austausch und das Gespräch über die eigene Trauer ab. Jeder bleibt mit seinem Trauerprozess allein und vom anderen isoliert. So nimmt es nicht Wunder, dass sich viele Partner oder Familienmitglieder in ihren Trauerwegen voneinander wegentwickeln. Häufig wird sogar die Trauer des anderen als Abwertung der eigenen Trauer oder als Angriff auf sie verstanden. Dann gibt es unerquickliche und fruchtlose Diskussionen über das »richtige« Trauern. Kritik an meiner Trauer ist aber für jeden Menschen schwer auszuhalten, ist meine Trauer doch mein ganz zentrales und ganz individuelles Erleben. Meine Trauer gehört zu meiner Identität, und Kritik daran trifft mich so tief, dass ich persönlich verletzt bin und mich heftig verteidigen muss.
In diesen Prozessen geht das Wertvolle in der Unterschiedlichkeit des Trauerns vollständig verloren. Und im Übrigen halten wir in diesem unterschwelligen Kampf die Trauer auf eine destruktive Weise fest. Sie wird selbst zum Kampf- und Machtmittel, das wir in den – meist unfruchtbaren – Diskussionen um »deine« und »meine« Trauer noch brauchen und deshalb nicht loslassen können. Damit schaden wir der eigenen Trauer, der Trauer des Mittrauernden und uns selbst.
Nehmen Sie die Art des Trauerns des anderen als Impuls, die eigene Art des Trauerns besser zu
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