Meine Trauer geht - und du bleibst
Schicksalsschlägen heimgesucht werden. Deren Lebensskript ist dann nicht einfach eine frühe, in der Kindheit entstandene Lebenseinstellung, sondern tatsächlich die richtige Beschreibung des eigenen Lebens. Solche Menschen haben nun eine doppelte Trauer zu leisten: die aktuelle Trauer um den Verlust des geliebten Menschen und dann die Trauer darüber, dass es im eigenen Leben immer wieder Verluste gibt. Es ist die Trauer um das eigene, von Verlusten geprägte Leben, also die Trauer um sich selbst und die eigene schwere Biografie. Wenn uns diese Differenzierung gelingt, dann können wir einerseits um uns trauern und andererseits zugleich, deutlich davon unterschieden, um unseren geliebten Menschen . Und beides hat sein Recht.
Wie wir unser Lebensskript im Verlust verändern können
Nicht jeder Trauernde reagiert auf den Tod seines geliebten Menschen mit seinem Lebensskript. Manchmal passt der Verlust nicht zum eigenen Lebensskript – wenn es zum Beispiel »Geschäftlich bin ich ein Versager. Ich werde es nie zu etwas bringen« lautet. Manchmal haben Betroffene ihr Lebensskript im Laufe ihres Lebens schon so verändert oder abgemildert, dass der Verlust das Skript nicht mehr aktiviert.
Wenn aber Trauernde in der Verlustsituation merken, dass es neben dem Schmerz und der Trauer noch andere belastende Gefühle gibt, die sie schon lange, meist aus der Kindheit, kennen, dann ist das ein Hinweis, dass hier der Trauernde neben der eigentlichen Trauer auch mit seinem Lebensskript reagiert. Das sollte dann der Anlass sein, sich mit dem eigenen Skript auseinanderzusetzen. Natürlich – und das sei hier ausdrücklich betont – ist diese Auseinandersetzung nicht am Beginn des Trauerweges möglich. Dies kann erst gelingen, wenn die Trauer des ersten Jahres zurückgetreten ist und ich mir selbst und meiner Trauer gegenübertreten kann. Erst jetzt kann ich mich befragen, wie meine Biografie und meine Lebensskript meine Trauer prägen. Erst im letzten Drittel unseres Trauerweges ist also der Zusammenhang zwischen Skript und Trauer zu verstehen und zu bearbeiten. Aber dann ist dies ein wichtiger Arbeitsschritt in der Trauerarbeit, weil er dazu hilft, die Trauer selbst allmählich loszulassen und zu verabschieden.
Zunächst gilt es, sich das eigene Lebensskript bewusstzumachen. Welche zurückliegende Lebenserfahrung aus meiner Kindheit ist jetzt durch den Tod meines geliebten Menschen angesprochen? Was scheint sich in seinem Tod an bekannter Lebenserfahrung zu wiederholen? Und wie, glaube ich, hat das mit meiner Person und meinen grundlegenden Lebenshaltungen zu tun? Wenn ich glaube, dass der Tod meines Angehörigen mit meiner Person oder einer wichtigen Seite meiner Person zu tun hat, dann beziehe ich seinen Tod sehr sicher im Sinne meines Lebensskriptes auf mich und ich sehe seinen Tod als Bestätigung meines Lebensskriptes. Ungewollt und unbewusst bauen wir den Tod unseres geliebtenMenschen in unser Lebensskript ein. Hart ausgedrückt »benutzen« wir den Tod unseres geliebten Menschen, um uns in unseren Lebenshaltungen zu bestätigen.
Natürlich ist es völlig in Ordnung, dass wir am Beginn des Trauerweges den Tod eines geliebten Menschen ganz auf uns selbst beziehen. Wir können den Tod gar nicht anders erleben, als dass er ganz und gar gegen uns gerichtet zu sein scheint, ist doch unser geliebter Mensch ein Teil unserer Seele. Doch im Verlauf des Trauerprozesses können wir uns fragen, ob es wirklich stimmt, dass der Tod nur gegen uns gerichtet ist, und ob er bestätigt, was wir schon immer in Bezug auf uns und das Leben dachten. Wir sollten uns klarmachen, dass der Tod eines nahestehenden Menschen nicht in meinem Minderwertigkeitsgefühl oder in meinem Gefühl, ich dürfe nicht glücklich sein, begründet ist. Er ist auch von niemandem als Angriff, als Strafe oder Rache beabsichtigt und gewollt. Auch meint es das Schicksal, das Leben oder Gott nicht absichtlich ganz besonders schlecht mit mir und mutet mir gewissermaßen gezielt Schlimmes und Böses zu, selbst wenn das vielleicht in meinem Leben doch öfters geschieht als bei anderen. Es ist schwer, sich mit diesen Einsichten anzufreunden, sind sie doch auch eine Kränkung unserer ichzentrierten Vorstellung, alles beziehe sich auf mich. In der Auseinandersetzung mit unserem Lebensskript wächst die Einsicht, dass wir zwar wichtig , aber doch nicht der Mittelpunkt der Welt sind, auch nicht in unserer Trauer.
Was ist nun die Chance dieses Wissens? Der Blick kann frei
Weitere Kostenlose Bücher