Meine Trauer geht - und du bleibst
unseren Schmerz und unsere Trauer erleben. Unsere Bitterkeit kann sich nun von innen her und in das erneute Erleben der Trauer auflösen. Wir werden dabei von innen her wieder weich. Nur in diesem Weichwerden können wir uns wieder öffnen – gegenüber dem Leben, das auf uns wartet, und gegenüber der Liebe zum Verstorbenen.
Wie die Bitterkeit schwindet und ihre Kraft meine Liebe zu dir stärkt
Die Bitterkeit verschließt sich gegenüber dem Geschmack des Lebens und taucht alles in einen bitteren, galligen Ton, auch das Süße und das Helle, das es auch nach dem Tod unseres geliebten Menschen weiterhin gibt. Natürlich können wir das am Beginn der Trauer nicht sehen, geschweige denn leben und genießen. Anfangs können wir das Leben nicht mehr lieben – nur eines können wir lieben, nämlich unseren geliebten Menschen.
Auf lange Sicht verbietet uns die Bitterkeit das Leben. Unsere Bitterkeit gegenüber dem Leben und damit gegenüber der Liebe breitet sich unmerklich aus und vergällt auch unsere Liebe zum Verstorben. Die Galle der Bitterkeit durchdringt unsere ganze Person und irgendwann auch unsere Liebe. Diese ist dann – so habe ich es jedenfalls selbst erlebt – nicht mehr »rein«, nicht mehr strahlend. Auch die Liebe zum Verstorbenen wird verbissen, weil sie nur noch ein Ziel der Liebe kennt, nämlich den geliebten Menschen. Unsere Liebe wird dann eng und verkrampft. Sie klammert sich nur noch an den Verstorbenen und erstickt sich dabei zunehmend selbst. Und das ist das Letzte, was wir als liebende Trauernde wollen. Wir wollen eine zugewandte Liebe, die im Geist der Freiheit lebt. Also geht es darum, dass wir unsere Verbitterung und unsere schon eingeengte Liebe wieder weit werden lassen. Auch der Verstorbene will, dass wir unsere Liebe wieder öffnen, nicht nur für ihn, sondern für das Ganze. Nicht nur uns, sondern auch ihm zuliebe können wir unsere geballte Faust und unser verkrampftes Herz öffnen. Anfangs vielleicht nur zähneknirschend und nur ein winziges Stück gegen den Widerstand der Bitternis in unserem Herzen. Aber sobald der kleinste Windzug der Freiheit uns in unserem Inneren berührt, wird unsere Liebe wieder für das ganze Leben geöffnet und bereit. Auch der Verstorbene wird dann in unserem Herzen und vor unserem inneren Auge wieder leicht und hell spürbar und sichtbar sein.
Prüfen Sie, in welchen Situationen Sie oft scheinbar grundlos empört, wütend, zornig und aggressiv werden. Ist diese Wut etwas Befreiendes, oder erleben Sie sie als verbissen, bohrend, festgefressen und mit einem bitteren Beigeschmack? Würden Sie gerne alles in Stü- cke schlagen und alles grundlos zerstören?
Erlauben Sie sich zunächst diese Vernichtungswut und die Verbitterung und sagen Sie sich: »Es ist unendlich bitter, meinen geliebten Menschen zu verlieren.« Und fügen Sie dann hinzu: »Und doch möchte ich dir zuliebe nicht in der Bitterkeit stecken bleiben.«
Spüren Sie die Kraft auf, die auch in der verbitterten Wut liegt, und sagen Sie zu ihr: »Ich nehme die Kraft in meiner Bitterkeit und in meiner Wut wahr. Ich will meine festgehaltene Wut und meinen festgehaltenen Zorn als Kraft spüren. Diese Kraft hilft mir, meine Bitterkeit zu überwinden.«
Stellen Sie sich nun Ihre bittere Aggression oder Ihre wütende Bitterkeit als geballte Faust vor. Sie können auch real Ihre Fäuste ballen und in sie Ihre Bitterkeit hineinfließen lassen. Dann öffnen Sie langsam die Fäuste – real oder imaginativ – und sagen Sie zu sich: »Ich möchte mich in meiner Bitterkeit und abgrundtiefen Wut langsam öffnen. Ich spüre und lasse nun wieder meinen Schmerz und meine Trauer zu. Dabei werde ich weich und offen für die Liebe.«
Spüren Sie Ihre Liebe, die sich aus der sich öffnenden Bitterkeit heraus entwickelt, und sagen Sie: »Meine Liebe zu meinem geliebten Menschen will ganz sein. Dazu gehört, dass sie sich wieder allmählich für das ganze Leben öffnet.«
Teil II
Wie ich meine Trauer gehen lassen kann – und meine Liebe zu dir bleibt
Nähe des Geliebten
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt;
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen.
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist
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