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Meine Trauer geht - und du bleibst

Titel: Meine Trauer geht - und du bleibst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Kachler
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ausdrücken und ausleben mit dem sicheren Wissen, dass sich darin unsere Liebe noch einmal klarer herauskristallisiert.
Wie aus Wut Bitterkeit werden kann
    Ganz anders verhält es sich mit der Bitterkeit. Die Wut, die im Trauerprozess entsteht, steht immer auch in der Gefahr, in eine Verbitterung und destruktive Wut abzugleiten. Ich kenne diese »Allmachtswut« sehr gut von mir selbst. Eine Zeitlang war ich auf alles und jedes, auf alle und jeden wütend. Manch einer hat diesen Zorn von mir ungerechtfertigt abbekommen und aushalten müssen. Erst allmählich merkte ich, dass ich damit auf dem besten Weg in eine alles vernichtende Bitterkeit war. Ich musste lernen, meinen Zorn zu mir zurückzunehmen und mich zu fragen, woherdieser Zorn kommt und wo er seine Berechtigung hat. Ich fühlte mich in meiner Wut im Recht, weil mir etwas unendlich Leidvolles angetan wurde. Allerdings – so habe ich erst allmählich verstanden – bin ich nicht berechtigt, auf alle und jedes meine Wut abzuladen.
    Der berechtigte Zorn in der Trauer kann rasch sehr groß und »böse« werden. Mit »böse« meine ich, dass die Wut nun den Wunsch, alles zu vernichten, in sich trägt. Damit trägt sie den Tod in sich. Dabei habe ich als Trauernder in dieser Vernichtungswut ungewollt und unbewusst die Aggression des Todes, die ich an meinem geliebten Menschen erlebt habe, selbst übernommen. Was mir und meinem geliebten Menschen angetan wurde, das agiere ich nun selbst aus. Ich bin so böse mit der Welt, mit dem Leben und mit Gott, dass ich alles – wie der Tod auch – am liebsten vernichten würde. Sollte ich jedoch die übergroße Vernichtungswut in mir behalten, sie in mich hineindrücken und sie in mir sich festfressen lassen, entsteht die Verbitterung, die dem Leben und mir selbst jede Existenzberechtigung abspricht. Ich werde dann »böse« und verschlossen gegenüber dem Leben und mir selbst.
    Das drückt der trauernde Vater im ersten Satz des Trauerdialoges aus. Wenn uns dies klar wird, können wir uns diese Vernichtungswut zugestehen. Ich kann mich verstehen, dass das unendlich große Leid in mir auch den unendlich großen Zorn und den Wunsch, alles zu zerstören, provoziert.
    Wenn ich diese »böse« Vernichtungswut mir oder einem vertrauten Menschen gegenüber ausspreche, fasse ich sie in Worte und mache sie mir begreiflich. Damit nehme ich ihr die magische, allgewaltige Macht. Und dann wird auch die destruktiv ausgerichtete Energie frei, die in der verbitterten Wut und im Vernichtungswunsch gebunden ist. Ich kann mich entscheiden, die Energie für meine Liebe zum Verstorbenen einzusetzen. Statt zu zerstören, will ich lieben, und zwar mit aller Kraft. Ich will meine psychischen Energien auf meinen geliebten Menschen richten und konzentrieren. Der Tod und die Abwesenheit des Verstorbenen erfordert von mir diese Kraft, die mir hilft, die innere Verbundenheit zu meinem geliebten Menschen über den Tod hinweg zu halten.
In der Bitterkeit halten wir die Trauer fest
    Wenn ich zornig, aggressiv und vorwurfsvoll bin, spüre ich nur die geballte Wut, nicht mehr meine Trauer. Ich bin nun nicht mehr wie in der Trauer ohnmächtig, weich und verletzbar, sondern bin in der verbitterten Wut hart, scheinbar stark. Meine Trauer scheint es dann nicht mehr zu geben. Die bittere Wut hilft mir also, mich gegenüber der Trauer zu verschließen. Dieser Weg, die eigene Trauer über die Bitterkeit zu verdrängen, ist eher eine Strategie von Männern, besonders bei denen, die in ihrem Lebensskript die Härte und Stärke gegen sich und andere entwickelt haben. Die Verbitterung tritt an die Stelle der Trauer und wird so oft zum Ersatz für meinen Schmerz. Ich muss den Trauerschmerz nicht mehr unmittelbar fühlen, sondern kann selbst aggressiv, vorwurfsvoll und bitterböse gegen das Leben sein. Ich verschließe mich dabei gegenüber dem Leben, aber auch gegen meine Trauer. Da meine Trauer sich aber nicht einfach auflöst, schließe ich sie hinter meiner Bitterkeit weg. Die Bitterkeit wird zu einer dicken Stahltür, hinter der die Trauer weggesperrt und scheinbar verschwunden ist. Doch dabei bleibt sie in meinem Körper, und so hält meine Verbitterung unbemerkt und auf verschlungenen Wegen die Trauer fest.
    Die Bitterkeit sollten Trauernde deshalb als Hinweis verstehen, sich wieder der Trauer zuzuwenden und ihr wieder mehr Raum zu geben. Wir sollten uns dann bewusst mit dem Verlust und der Abwesenheit unseres geliebten Menschen konfrontieren und darüber neu

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