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Meine Trauer geht - und du bleibst

Titel: Meine Trauer geht - und du bleibst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Kachler
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Fixpunkt dieses Rituals.
    Eine sechzigjährige Witwe geht immer wieder in das Waldstückzu einer Bank, auf der sie mit ihrem verstorbenen Mann oft saß und sich unterhielt. Sie setzt sich auf die Bank und spürt neben sich ihren Mann. Dann spricht sie mit ihm über die Dinge ihres Lebens, das sie nun ohne ihn zu leben hat. Anfangs redet sie laut mit ihrem Mann, allmählich wird der Austausch zu einem inneren Gespräch.
    Die Erfahrung, dass der Verstorbene uns fern ist, lässt uns auch nach weit entfernt liegenden sicheren Orten wie dem Himmel, einem Stern oder religiös verstandenen Orten suchen. Solche Orte haben ebenso wie religiös verstandene Orte eine eigene Realität, die über die materielle Wirklichkeit hinausgeht. Zunehmend wird sich der Hinterbliebene der Existenz und Realität seines verstorbenen, geliebten Menschen sicherer. Es gibt keine Zweifel mehr an dieser eigenen Beziehungsrealität.
Dein sicherer Ort ist immer auch in mir – und du bist ganz sicher in mir
    Die sicheren Orte sind nicht nur Orte, an denen der Verstorbene sicher geborgen ist, sondern es sind immer auch Begegnungsorte, über die wir dem geliebten Menschen nahe sein können. Mit jeder Begegnung an diesen Orten oder über diese Orte erleben wir den geliebten Menschen zugleich in uns. Wir spüren seine Nähe als Gefühl in uns, wir erleben die Liebe für ihn und die Trauer um ihn immer in uns und wir reden mit ihm aus uns heraus. Wie alle Gefühle sind diese Begegnungsgefühle psychosomatische Erfahrungen. Sie sind also sowohl psychisch als auch somatisch erfahrbar und hinterlassen psychische und somatische Spuren. Aus der Hirnforschung wissen wir, dass äußere und innere Beziehungserfahrungen in unserem »Fühlhirn« zu Bahnungen zwischen den Nervenzellen führen.
    So nehmen wir den geliebten Menschen mehr und mehr in uns auf und umgekehrt wird er uns in unserem Inneren mehr und mehr bewusst. Wir sprechen hier von einer »Internalisierung« beziehungsweise vom Bewusstwerden einer schon immer stattgefundenen Internalisierung der Person des geliebten Menschen. Die wiederholten Begegnungserfahrungen mit dem geliebtenMenschen bauen ein stabiles und tragfähiges Beziehungsnetz in uns auf, das den geliebten Menschen sicher in uns verankert.
    Während wir im Trauerschmerz die Ferne und Abwesenheit des Verstorbenen erleben, erfahren wir in den Begegnungen die innere Verbundenheit mit dem geliebten Menschen.
    Eine Mutter träumt von ihrem verstorbenen achtzehnjährigen Sohn Folgendes: Ich sehe meinen Sohn vor mir. Ich spüre, dass er weggehen will. »Bleib da«, sage ich zu ihm. Er erwidert: »Ich muss gehen.« Ich will ihn festhalten und sage noch einmal, dass er bleiben soll. Er sagt: »Ich gehe, ich bin doch immer bei dir.«
    Hier wird deutlich, dass bei allem Weggehen des Verstorbenen ein nahes, inneres Bleiben möglich ist. Die eigene Seele und die Liebe werden zum sicheren Aufenthaltsort für den geliebten Menschen.
Deine sicheren Orte dürfen sich verändern – und du bleibst
    Mit dem Fortschreiten des Trauerprozesses verändern sich auch die sicheren Orte für den Verstorbenen. Dies verunsichert oft Hinterbliebene. Aus meiner Erfahrung ist dies nicht nur ganz normal, sondern es ist ein wichtiger Entwicklungsprozess in der inneren Beziehung zum Verstorbenen. In diesem Prozess differenzieren sich unsere sicheren Orte. Sehr häufig verliert ein Ort an Bedeutung, dafür wird ein anderer Ort klarer und wichtiger. So werden die meisten konkreten Orte nicht mehr so wichtig, weil wir den geliebten Menschen allmählich stärker nach innen nehmen und in unserem seelischen Innenraum verankern und erleben. Der äußere sichere Ort wird nach innen verlegt und der eigene Leib und die eigene Seele werden nun zu einem sicheren Ort für den geliebten Menschen. Dieser Ort liegt nun noch näher am eigenen Erleben und ist jederzeit zugänglich.
    Die weit entfernt liegenden sicheren Orte wie zum Beispiel der Himmel oder ein Stern gewinnen zunehmend einen transzendenten und symbolischen Charakter. Der sichere Ort wird für den Hinterbliebenen selbst zu einem Symbol. In ihm sind die Beziehungserfahrungen mit dem geliebten Menschen zusammengefasstund verdichtet. Es genügt, sich das Symbol zu vergegenwärtigen, dann ist die Beziehung zu dem geliebten Menschen ganz präsent.
    Wie viele bedeutsame Symbole weisen auch die Symbole für die sicheren Orte über unsere konkrete Wirklichkeit hinaus. Sie stehen für eine größere und tiefere Wirklichkeit, auf die im

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