Meine Trauer geht - und du bleibst
der Trauer allmählich wegschmilzt, kann unsere Liebe zum Verstorbenen eine neue Qualität gewinnen. Das Wegschmelzen der Trauer erlaubt es unserer Liebe zum Verstorbenen, leichter und lebendiger zu werden. Ist die Liebe in der schlimmsten Trauerzeit von schwerer, schmerzlicher Qualität, so kann sie jetzt ohne die Schwere und das Dunkle der Trauer unbeschwert und unbeschattet in das Licht unseres Bewusstseins treten.
Manche Trauernde befürchten, dass ihre Liebe dann an Ernsthaftigkeit und Verpflichtung verlieren könnte. Deshalb halten sie in ihrer Liebe oft noch die Trauer fest, die die Liebe schwer und bedeutsam macht. Aus meiner Erfahrung gibt es keinen Widerspruch zwischen der schweren, vom Verlust gezeichneten und der leichteren, heiteren Liebe zum Verstorbenen. Die Liebe aus der Schwere wird bleiben und hat ihre besondere Berechtigung, weil auch die Abwesenheit des geliebten Menschen bleiben wird. Wir brauchen die schwere Liebe, weil sie das bindende Fundament über lange, vielleicht immerwährende Zeit darstellt. Erst auf diesem Fundament kann sich unsere leichte, heitere Liebe zum geliebten Menschen entwickeln und leuchten. Die leichte Liebe atmet den Geist der Freiheit, den der Verstorbene und der Trauernde brauchen. Diese Liebe erlaubt es dem Hinterbliebenen, den Verstorbenen aus Freiheit zu lieben. Dann kann auch der Hinterbliebene in Freiheit zunehmend das eigene Leben wieder leben und doch mit dem geliebten Menschen verbunden bleiben.
Spüren Sie immer wieder nach, ob es in Ihnen auch einen inneren Widerstand gegen die Trauer gibt, manchmal sogar einen Überdruss an der Trauer. Dann sagen Sie Ihrer Trauer: »Ich entdecke in mir eine andere Seite, die sich wünscht, dass du, meine Trauer, gehst. Das ist nicht gegen dich gerichtet, sondern es ist mein eigener Wunsch, wieder mehr Lebendigkeit in mir und Leichtigkeit im Leben zu entdecken.«
Spüren Sie immer wieder nach, ob es in Ihnen den Wunsch nach neuer Lebendigkeit und Leichtigkeit gibt. Vielleicht entdecken Sie, dass Sie wieder lachen, dass Sie vor sich hinsingen oder dass Sie das Zusammensein mit anderen Menschen auch wieder genießen können – wenigstens ein Stück weit und wenigstens für eine begrenzte Zeit. Dann sagen Sie sich: »Ich spüre in mir wieder eine Lebendigkeit. Das ist in Ordnung, weil auch mein geliebter Mensch mir das wünscht. Und es ist in Ordnung, weil auch diese Wünsche zu mir gehören.«
Schauen Sie zurück auf Ihre mächtige Anfangstrauer und sehen Sie, wie sich Ihre Trauer von damals bis heute verändert hat (vgl. untenstehende Imagination). Sie werden entdecken, dass sich Ihre Trauer zurückgenommen hat, dass sie leichter und heller wurde.
Überlegen Sie, welchen »Gewinn« das Gehen der Trauer für Sie haben könnte. Vorausgesetzt, Sie müssen Ihre Trauer nicht mehr aufgrund Ihrer Loyalität zu Ihrem geliebten Menschen festhalten, werden Sie wissen, dass Ihr Leben wieder mit vielem anderen und nicht nur der Trauer erfüllt sein wird. Und Sie können auch ahnen, dass das sehr schön sein kann.
Üben Sie immer wieder ein zeitweiliges Loslassen der Trauer. Stellen Sie Ihre Trauer einige Stunden oder auch für Tage zurück. Lassen Sie sie in Ihrer Vorstellung probehalber wie einen Vogel davonfliegen und prüfen Sie, wie sich diese »trauerlose« Zeit anfühlt. Sagen Sie dabei Ihrer Trauer: »Ich lasse dich probeweise gehen und für einige Zeit lebe ich ohne dich. Ich will prüfen, wie sich das Leben und meine Liebe zu meinem geliebten Menschen ohne dich anfühlen. Wenn wir uns dann endgültig verabschieden wollen, werden wir das gemeinsam gestalten.«
IMAGINATION
Ich sehe, wie du, meine Trauer, dich verändert hast
Erinnern Sie sich an die Anfangszeiten Ihrer Trauer, an die intensiven Trauergefühle und daran, wie sehr Sie unter der Trauer gelitten haben. Vermutlich fällt Ihnen spontan ein Bild für diese Anfangstrauer ein. Schließen Sie jetzt Ihre Augen und lassen Sie ein Bild dieser Anfangstrauer vor Ihrem inneren Auge entstehen. Vielleicht ist für Sie diese Trauer ein schwerer schwarzer Stein, vielleicht ein dunkler Schatten oder ein tiefer Abgrund. Spüren Sie, wie dieses Bild der Trauer auf Sie jetzt noch einmal wirkt. Sagen Sie zu dieserTrauer: »So groß und mächtig warst du, und das war in Ordnung. Deine Größe zeigte mir die Größe meines Verlustes.«
Dann schauen Sie Ihre Trauer in den späteren Phasen Ihres Trauerweges an. Wählen Sie zunächst die Zeit eines halben Jahres, dann eines ganzen Jahres,
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