Meine Trauer geht - und du bleibst
schließlich die Zeit von zwei und dann von drei Jahren nach dem Tod Ihres geliebten Menschen. Wenn Sie für die jeweilige Zeit jetzt das Bild Ihrer Trauer betrachten, dann werden Sie sehen, wie sich dieses Bild und Ihre Trauer verändert haben. Vielleicht wurde der Stein kleiner und heller, vielleicht hob sich der Schatten und ließ Licht durchdringen, vielleicht wurde im Abgrund ein haltender Boden sichtbar. Dann sagen Sie der veränderten Trauer: »Erst jetzt sehe ich, wie du dich verändert hast. Wir sind einen langen, gemeinsamen Weg gegangen. Wir haben uns in dieser Zeit beide entwickelt und verändert. Ich danke dir, dass du dich auf diese Veränderung eingelassen hast.«
Schließlich schauen Sie das Bild Ihrer Trauer in der heutigen Zeit an. Vielleicht sehen Sie, dass Ihre Trauer sich schon ein Stück aufgelöst hat, vielleicht auch, dass sie sich schon ein Stück von Ihnen entfernt hat. Dann sagen Sie Ihrer Trauer: »Ich sehe an deinen Veränderungen, dass du bereit bist zu gehen. Ich bin bereit, dich gehen zu lassen. Wenn du gehen willst, dann zeige mir das. Wir werden dann gemeinsam den Abschied gestalten.«
5. Ich verabschiede meine Trauer – und manchmal wird sie mich wieder besuchen
Trauernde: Meine Trauer tritt mehr und mehr in den Hintergrund.
Trauerbegleiter: Vielleicht ist es dann an der Zeit, Ihre Trauer zu verabschieden.
Trauernde: Meine Trauer? Wieso meine Trauer?
Trauerbegleiter: Ihre Trauer hat Sie seit dem Tod Ihrer Tochter lange begleitet.
Trauernde nickt.
Trauerbegleiter: Ihre Trauer war sehr schwer und doch hat sie viel für Sie getan.
Trauernde: Nein, das möchte ich so nicht noch einmal erleben.
Trauerbegleiter: Das glaube ich Ihnen. Und trotzdem sollten Sie Ihre Trauer nicht einfach mit einem Tritt vollends rauskicken. Das hätte sie nicht verdient.
Trauernde lächelt: Ja, inzwischen gehört sie zu mir.
Trauerbegleiter: Und doch geht sie immer öfter weg und lässt Sie alleine. Sie scheint gehen zu wollen.
Trauernde: Und Sie meinen, dann soll ich sie gehen lassen und anständig verabschieden?
Trauerbegleiter: Mhm, in Ehren verabschieden wie bei einer Entlassungsfeier.
Ich danke meiner Trauer – sie hat mir im Verlust die Liebe zu dir gezeigt
Wie kann ich jemandem danken, der mir so viel Ungemach, so viel Schwere und so viel Schmerz bereitet hat? Das ist wohl der erste und sehr verständliche Einwand gegen den Gedanken, der Trauer zu danken. Und doch war es nicht die Trauer selbst, sondern der Tod, der Verlust und die Abwesenheit des geliebten Menschen, dieuns zutiefst getroffen haben. Die Trauer ist eine schmerzliche, aber letztlich heilsame Reaktion auf diesen unendlich schweren Schlag. Im Verlauf des Trauerprozesses lernen wir, zwischen dem eigentlichen Auslöser für unsere Trauer und der Trauer als Reaktion angesichts des Todes zu differenzieren. Diese Unterscheidung erlaubt es uns, die Trauer in ihrer Aufgabe zu verstehen. Nicht sie ist das Schlimme, sondern der Tod , auf den unsere Liebe zum Verstorbenen reagiert. Die Trauer ist die Reaktion unserer Liebe darauf, dass wir im Äußeren den Verstorbenen nicht mehr lieben dürfen, weil der Tod ihn uns entzogen hat. Die Trauer als Liebesreaktion angesichts des Verlustes hat ihre zentrale Aufgabe darin, den geliebten Verstorbenen zu finden, ihn in unsere Seele zu integrieren und die Liebe in Form einer inneren Beziehung zu leben. Dies ist angesichts der Vernichtungstat des Todes ein kreativer Schöpfungsakt. Wir sollten unserer Trauer dafür danken.
Im Dank geben wir das zurück, was wir durch eigene Leistung nie zurückgeben und ausgleichen könnten. Durch den Dank werden wir gegenüber dem, der gegeben hat, frei. Wir sind nicht mehr über eine offene Verpflichtung an ihn gebunden. Aber auch der Geber wird frei, weil er keinen Anspruch mehr hat, auf den er noch warten könnte. Die Trauer, die untrennbar mit uns verbunden schien, wird nun ein freies Gegenüber und ich werde ihr gegenüber frei. Unsere wechselseitige Bindung wird durch den Dank gelöst. So werden wir frei, unsere Trauer gehen zu lassen, und unsere Trauer wird frei, ebenfalls zu gehen. Nun können Trauernde ihre Trauer mit gutem Gewissen verabschieden.
Und jetzt verabschiede ich mich von meiner Trauer – und dabei spüre ich ein Aufatmen
Auf meinem Trauerweg wird meine Trauer zu einem Gegenüber, mit dem ich zunehmend besser umgehen kann. Ich kann ihr wie einem Aspekt meiner Person gegenübertreten, mit ihr reden und mit ihr verhandeln. Und ich kann
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