Meine Trauer geht - und du bleibst
mich auch bewusst von ihr verabschieden, allerdings nur mit ihrem Einverständnis. Die Trauer gibt mir viele Zeichen, dass sie bereit ist, sich von mir zu verabschieden und dass auch ich mich von ihr verabschieden darf.Wenn wir zurückschauen, dann hat sich die mächtige Anfangstrauer über die Zeit hinweg schon verändert. Sie ist oft in den Hintergrund getreten, sie ist milder geworden und sie ist leichter geworden. Ich spüre nun auch, dass es bis zu ihrem Abschied nur ein kleiner Schritt ist.
Da der Ort meiner Trauer mein Körper ist, kann ich sie aus meinem Körper entlassen und spüren, wie mein Körper leicht wird. In der Regel bereitet sich das schon lange vor. Ich spüre, dass meine Trauer sich zunehmend auf eine kleine Körperregion zurückgezogen hat. Nun kann ich meine Trauer bewusst in dieser Region aufsuchen, mich innerlich vor ihr verneigen und sie gehen lassen. Dies ist Zeichen meines Respekts vor ihr, weil ich um ihre Bedeutung für meine innere Beziehung zu meinem geliebten Menschen weiß. Ich kann sie nun ausziehen lassen – mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich bin immer noch unsicher, ob es jetzt der richtige Zeitpunkt ist, dass meine Trauer geht. Vielleicht bin ich auch betrübt, dass die schon zur gewohnten Bekannten gewordene Trauer nun nicht mehr da ist und auch eine Leere hinterlässt. Aber je genauer ich in mich hineinspüre, umso mehr werde ich entdecken, dass sich Erleichterung in mir breitmacht. Ich kann aufatmen, mein Atem wird leicht, meine Energie zirkuliert fließend in meinem Körper und mein Geist wird frei. Erst jetzt merke ich, wie sehr mich meine – nötige und wichtige – Trauer auch gedrückt und beschwert hat.
Das Wichtigste aber im Loslassen der Trauer ist, dass sich nun die Liebe zu meinem Verstorbenen in mir ganz ausbreiten kann. Es gibt in meinem Körper keinen Ort mehr, in der nicht meine Liebe sein könnte und sein soll.
Ich halte meiner Trauer die Türen offen – sie darf wieder kommen als bekannter Gast
Der Abschied von der Trauer ist kein endgültiger Abschied. Es wird vermutlich immer Situationen geben, in denen die Trauer wieder da ist. Das kann durch gänzlich unerwartete Erinnerungen oder durch einen äußeren Auslöser, der mit dem Verstorbenen assoziiert wird, geschehen. Eine Frau berichtet, dass sie zehnJahre nach dem Tod ihrer Tochter an einer Kirche vorbeikam, in der eine Hochzeit stattfand. Gleichsam magnetisch angezogen geht sie in die Kirche und sieht am Altar die ihr fremde Braut. Sie erkennt in ihr ihre verstorbene Tochter, die jetzt auch im heiratsfähigen Alter gewesen wäre. Tränen kommen der Mutter und weinend bleibt sie in einer dunklen Ecke der Kirche sitzen, bis sie nach dem Ende der Hochzeit mit ihrer Trauer allein sein kann.
Trauernde sollten bereit sein, ihrer Trauer die Tür ihrer Seele offen zu halten und die Trauer als bekannter, inzwischen vielleicht auch schon fremd gewordenen Gast zu begrüßen. Es hat dann immer einen Sinn, wenn uns die Trauer wieder besucht. Sie erinnert uns an unseren Verlust, der auch nach zwanzig oder dreißig Jahren nicht vorbei ist. In der dauerhaften Abwesenheit bleibt uns unser geliebter Mensch verloren. Die Trauer kann vorbeigehen, aber die Abwesenheit des Verstorbenen wird nie enden. Daran stößt sich unsere Liebe immer wieder und zeigt sich in einer – freilich oft nur kurzen – Wiederkehr der Trauer. Dabei nimmt die Trauer häufig die Gestalt der Wehmut an. Diese ist die feine, leise Schwester der Trauer nach langer Zeit. Wir sollten sie nicht übersehen, weil unsere Trauer uns wieder an den Verstorbenen erinnern will, damit wir ihn nicht im Vergessen verlieren. Deshalb sollten wir unsere Trauer oder die Wehmut bei ihren selten gewordenen Besuchen freundlich begrüßen und sie fragen, warum und wozu sie uns gerade jetzt aufsucht.
Spüren Sie immer wieder in Ihren Körper. Sie werden entdecken, dass sich Ihre Trauer schon länger auf eine Körperregion zurückgezogen hat. Und Sie spüren auch, dass sie nun bereit ist, auch aus dieser Region zu gehen. Sie sagen ihr: »Ich spüre, dass du bereit bist zu gehen. Auch ich bin bereit, dich gehen zu lassen.«
Bereiten Sie sich auf den Abschied vor wie auf eine Entlassungs- oder Abiturfeier. Ihnen ist ein wenig bang, zugleich sind sie freudig gespannt. Nehmen Sie sich ganz bewusst einen Abend, an dem Sie für diesen Abschied frei haben.
Gestalten Sie nun den Abschied. Hierfür gibt es sehrunterschiedliche Rituale. Sie könnten einen
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