Meine Trauer geht - und du bleibst
Kampf blockiert manchmal die direkte Liebe zum Verstorben, oft zehrt er an den Kräften der Liebe. Deshalb will auch die Liebe diesen Kampf nicht mehr und ist bereit, dem Schicksal und dem Weg des geliebten Menschen zuzustimmen. Dieser Prozess der Zustimmung – und das ist eine der schwersten Aufgaben auf dem Trauerweg – beginnt damit, dass ich als Trauernde oder Trauernder mir eingestehen muss, dass ich niemals wissen kann, warum es das Schicksal des geliebten Menschen ist, sterben zu müssen.
Was heißt nun »Zustimmung«? Sie hat mehrere Aspekte und Stufen. Und ich spüre in meiner eigenen Trauerarbeit, dass ich selbst dem Tod meines Sohnes noch nicht ganz zustimmen kann. Vielleicht werde ich es später noch können, jetzt bleibt in mir immer noch ein Rest von Auflehnung. Vielleicht aber brauche ich dies, vielleicht brauchen es andere auch. Die Leserin, der Leser möge nun selbst entscheiden, welcher Grad von Zustimmung ihr oder ihm möglich ist.
Der erste Schritt besteht in der schon erwähnten Anerkennung des Fakts, dass der geliebte Mensch gestorben ist, dass er tot ist und nicht mehr kommen wird. Ich realisiere, dass das, was mit ihm geschehen ist, tatsächlich geschehen ist. Im zweiten Schritt nehme ich das, was geschehen ist, für mich und für meinen geliebten Menschen an. Es gehört zu seinem Schicksal und zu seinem Lebensweg. Ich kann sogar annehmen, dass es in einer gewissen Weise auch zu seiner Person und zu seinem Leben passt. Sein Sterben und sein Tod sind unauflöslicher Teil seines Lebens, aber auch meines Lebens. Es lässt sich nicht mehr aus unserem Leben entfernen oder verdrängen. Mit dem dritten Schritt – der Zustimmung – habe auch ich selbst meine persönlichenSchwierigkeiten angesichts des Todes meines Sohnes. Kann ich so weit zustimmen, dass ich einen Sinn im Schicksal meines geliebten Menschen sehe und es deshalb letztlich richtig und gut sein wird, was geschehen ist? Für manchen Hinterbliebenen kann sich der gute Sinn in einem langen Prozess erschließen, manchmal leuchtet er auch spontan auf. Vielen glaubenden Menschen hilft hier der Gedanke, dass es aus der Perspektive Gottes einen Sinn gibt, der uns jetzt noch verschlossen bleibt. Ich persönlich bin sehr vorsichtig mit dem Wunsch oder der Forderung, in allem einen Sinn zu entdecken, auch wenn dies von vielen Ratgebern und Psychotherapeuten nahegelegt wird. Wer in dem Tod seines geliebten Menschen keinen Sinn sieht, der sollte das auch so stehen lassen. Der Tod eines geliebten Menschen darf auch sinnlos bleiben.
Bert Hellinger hat einen für mich weiteren, sehr wichtigen Aspekt der Zustimmung beschrieben, der sehr befreiend sein kann (vgl. Hellinger, Ordnungen der Liebe, S. 75 f.). Für Hellinger ist ein Akzeptieren des Schicksals eines anderen anmaßend . Wie kann ich entscheiden, ob das Schicksal dem anderen zusteht oder nicht, ob es einen Sinn macht oder nicht? Es genügt, das Schicksal und den Lebensweg des anderen zu achten und mit Respekt wahrzunehmen. Mehr steht mir eigentlich auch nicht zu.
Dein Weg führt dich an deinen sicheren Ort – auch das gehört zu dir
Ein abschließender Gedanke kann uns helfen, den Weg und das Schicksal des geliebten Menschen zu achten. Der Weg des Verstorbenen ist nicht zu Ende, sondern führt ihn an seinen sicheren Ort und in die innere Beziehung zu mir als Hinterbliebenem. Der Weg des Verstorbenen führt ihn zu seiner unendlichen Freiheit, in der für ihn alles gelöst ist. Was wir überblicken, ist der Weg bis zum Tod. Was wir für unseren geliebten Menschen hoffen und glauben, ist der Weg über den Tod in die beglückende Freiheit. Auch das gehört zum Schicksal meines geliebten Menschen. Wir dürfen also nicht nur auf das Sterben und den Tod des geliebten Menschen schauen, sonst verkürzen wir selbst dessen Weg. SeinSchicksal ist größer als das, was wir unmittelbar sehen. Der Blick auf das Ganze seines Weges – von seiner Geburt bis in seine unendliche Freiheit an seinem sicheren Ort – erleichtert es mir, dem Schicksal meines geliebten Menschen zuzustimmen.
Ich lerne, mein Schicksal anzunehmen
Weil ich als Hinterbliebener so intensiv mit dem Leben und Lebensweg meines geliebten Menschen verwoben bin, ist sein Schicksal immer auch mein Schicksal. Dies erleben wir in der Anfangstrauer besonders intensiv als Erfahrung, dass auch unser Leben zu Ende ist und wir mit unserem geliebten Menschen mit sterben. Die Trauer ist auch eine Reaktion auf das Schicksal, das meinem geliebten
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