Meine Trauer geht - und du bleibst
dass der geliebte Mensch nur auf einer langen Reise oder in einem Urlaub ist und eines Tages nach Hause kommt.
So berechtigt die wütend-verzweifelten Fragen sind, so wenig werden sie eine Antwort erfahren. So heftig der Widerstand gegen das Schicksal des geliebten Menschen ist, so wenig können wir rückgängig machen, was dem geliebten Menschen geschehen ist. Weil in diesem Widerstand aber immer die Liebe sich meldet, müssen wir uns diesen Kampf zugestehen. Die Liebe will es dem Tod nicht erlauben, dem geliebten Menschen das zuzufügen, was er ihm zugefügt hat.
Doch irgendwann wird die Liebe sehen und realisieren, dass sie in der äußeren Realität den Fakten unterlegen ist. Die Liebe muss sich der Realität des Todes und der Abwesenheit des geliebten Menschen beugen. Das ist ein schmerzlicher und wesentlicher Kern unserer Trauer. Doch die Einsicht in die Realität des tatsächlich Geschehenen ermöglicht der Liebe, neue Wege zu finden. Zunächst aber müssen der Trauernde und seine verzweifelte Liebe sehen, was mit dem geliebten Menschen geschehen ist und was nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann.
Ich sehe, was mit dir geschehen ist – und ich lasse es mit großem Schmerz gelten
Zu Beginn können wir nicht sehen, was mit unserem geliebten Menschen geschehen ist. Auch wenn wir sein Sterben, die Umstände seines Sterbens und seines Todes genau kennen, ist das noch kein Sehen, sondern ein tiefes Mitfühlen und Mitleiden. Unser Mitgefühl und unsere Trauer verbinden uns intensiv mit dem Sterben und dem Tod unseres geliebten Menschen. Das ist auch völlig in Ordnung, will doch unsere Liebe dem geliebten Menschen in seinem Sterben und Tod ganz nahe sein. Immer wieder durchleben wir in unserem Denken und Erinnern seine letzte Zeit. Dabei realisieren wir erst allmählich, was eigentlich geschehen ist. Erst jetzt wird uns klar, wie die Umstände beim Sterben unseres geliebten Menschen waren, was im Einzelnen geschehen ist und wie die Dinge sich zueinander verhalten.
Die zehnjährige Maria erkrankt plötzlich an Blutkrebs. Dann geht alles ganz schnell: Krankenhausaufenthalt an einer Universitätsklinik, zahlreiche Untersuchungen, Chemotherapie, immer wieder Gespräche mit den Ärzten. Die Eltern haben kaum eine Chance, die Ereignisse zu verstehen, geschweige denn zu beeinflussen. Sie sind hineingerissen in einen Strudel von Ereignissen. Sie tun das, was noch zu tun ist: bei ihrer Tochter zu bleiben, ihr die Hand zu halten und mit ihr zu reden. Dann gibt es Komplikationen, vielleicht ärztliche Versäumnisse, Entscheidungen von großer Tragweite stehen an – und wieder überschlagen sich die Ereignisse. Dann stirbt die zehnjährige Maria. Noch lange nach ihrem Tod gehen die Eltern in ihren Gedanken und Gesprächen immer wieder neu die Abschnitte der Krankheit und des Sterbens durch. Immer wieder fragen sie sich, ob es bei dieser oder bei jener Weichenstellung eine andere Entscheidung gegeben hätte. Nachdem sie dies immer wieder durchdacht und zugleich durchlitten hatten, konnten sie dann in den Beratungsgesprächen allmählich ein Stück zurücktreten und sehen, was mit ihrer Tochter und ihnen selbst geschehen ist. Sie konnten dann auch erkennen, dass das Geschehene unabänderlich ist und dass sich die Dinge unausweichlich so konstelliert haben, wie sie dann geschehen sind.
Im Sehen aus dem inneren Abstand heraus realisieren wir erst, was eigentlich geschehen ist. Dazu brauchen wir auch den zeitlichen Abstand, so dass wir auch »von außen« auf den Weg unseres geliebten Menschen schauen können. Das ist kein kaltes, sondern – weil wir den Verstorbenen lieben – immer ein liebevolles Schauen. Es kann nun das Sterben und den Tod des geliebten Menschen als gesamtes Geschehen wahrnehmen. Und nun muss ich auch einsehen , dass das Geschehen eine innere Notwendigkeit hat, die nicht mehr zu ändern war und nun auch nicht mehr zu ändern ist . Dies zwingt mich zunächst, das Geschehene so gelten zu lassen und es in seiner Realität anzuerkennen.
Kann ich deinen Weg und dein Schicksal akzeptieren?
Wir wissen nicht, wer dem geliebten Menschen seinen Weg zugemutet hat und warum ihm dieser Weg auferlegt war. Anfangs lehnt sich alles in uns gegen dieses Schicksal auf. Glaubende Menschen hadern häufig mit Gott, hat er doch den Tod des geliebten Menschen nicht verhindert.
Abgesehen davon, dass die Auflehnung und der Kampf gegen das Schicksal letztendlich vergebens sind, kostet dieser Kampf auch sehr viel Energie. Der
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