Meine Trauer geht - und du bleibst
es zum Beispiel wichtig, dass auch die Geschwister des verstorbenen Kindes allmählich wieder ihren Platz und damit ihre Aufmerksamkeit, Zuwendung und Liebe erhalten. In der Familie muss es wieder eine Ausgewogenheit der Bedeutung der einzelnen Familienmitglieder geben, also auch zwischen dem verstorbenen Kind und den anderen Familienmitgliedern. Das verstorbene Kind, aber auch seine zurückbleibenden Geschwister und die Eltern als Mann und Frau und damit auch als Partner füreinander haben das Recht auf ihren besonderen, ausgezeichneten Platz in der Familie. Und diese Plätze dürfen mit zunehmender Zeit nicht mehr von der Trauer überschattet und von dem geliebten verstorbenen Menschen überstrahlt werden. Vielmehr dürfen auch die Plätze der anderen wieder mit der ihnen eigenen Farbe leuchten.
Um für eine neue Partnerschaft offen zu werden, muss sich der hinterbliebene Partner Folgendes klarmachen: Mein verstorbener, geliebter Mensch hat seinen sicheren Platz in meinem Leben und in meinem Herzen. Am Ende des Trauerweges ist das ein begrenzter Platz. So kann in meinem Herzen und Leben auch wieder ein Platz für jemanden anderen frei werden. Mein Herz ist größer, als ich das in der Trauer erlebe, und mein Herz hat mehr Plätze, als es zunächst scheint. Es bleibt allerdings die Entscheidung des Hinterbliebenen, ob er eine Tür und damit einen Raum für einen weiteren Lebensgast öffnen will.
Und wenn jemand anderes kommt – nie wird er dich ersetzen
Eine Frau mit Kindern im Alter von sechs und acht Jahren beginnt nach dem Unfalltod ihres Ehemanns mit dessen Freund eine Partnerschaft. Nach kurzer Zeit zieht der neue Partner in das Haus der Familie. Nun werden alle Bilder, alle Erinnerungsstücke und alles, was vom Ehemann stammt, entfernt. Die Kinder haben kaum eine Chance, ihrem Vater in ihrem Erinnern und Fühlen nahe zu sein. Wenn sie dann bei den Großeltern väterlicherseits zu Besuch sind, schauen sie sich stundenlang Fotoalben und Videofilme über ihren Vater an. Sie scheinen dabei das auszugleichen, was in ihrem vom Vater leer geräumten und sterilisierten Elternhaus nicht mehr möglich ist. Abgesehen von der Problematik der Kinder hat eine Partnerschaft, die eine vorige Beziehung so massiv ausblendet, keine langfristige Chance auf ein eigenes Glück.
Nicht nur der Verstorbene, sondern auch das bisherige Leben mit ihm ist bleibender und unauslöschlicher Teil des Hinterbliebenen. Beides darf nicht geleugnet, ausgelöscht oder ersetzt werden. Sollten dies Hinterbliebene tun, wird sich das Vergangene melden und seinen Platz einfordern.
Ein sechzigjähriger Mann hatte seine erste Frau durch Brustkrebs verloren. Er hat intensiv um seine Frau getrauert. Nach drei Jahren heiratet er wieder. Nun kommt er in die Beratung, weil er nachts im Schlaf laut den Namen seiner ersten Frau ausruft. Im Gespräch wird deutlich, dass er seiner ersten Frau zu wenig Raum gibt. Im nächtlichen Rufen meldet sich sein Unbewusstes und gibt ihm den Auftrag, seiner ersten Frau mehr Bedeutung zu geben und sie mehr zu würdigen.
Der Verstorbene und das Unbewusste des Hinterbliebenen brauchen die eindeutige Zusicherung, dass der geliebte Verstorbene seinen sicheren Platz im Herzen des Hinterbliebenen für immer behalten und dass er nicht ersetzt werden wird. Mehr noch: Als der, der früher in das Leben des Hinterbliebenen getreten ist, hat er einen Vorrang. Er hat mich als Hinterbliebenen früher und deshalb nachhaltiger geprägt. Und dieser Vorrang muss nicht nur gegenüber dem geliebten Verstorbenen, sondern auch gegenüber dem neu hinzukommenden Menschen ausgesprochen werden.Nur so können der Hinterbliebene und der Hinzukommende die besondere Bedeutung des Verstorbenen ermessen, schätzen und würdigen.
Auch ein anderer Mensch bekommt seinen Platz bei mir – und dieser ist ein anderer als deiner
Kommt ein neuer Mensch in das Leben der Hinterbliebenen, braucht auch er seinen eigenen Raum und Platz. Eine Frau, die ihr behindertes zweijähriges Kind verloren hat, ist wieder schwanger. In der Beratung kläre ich mit ihr, ob ihr verstorbenes Kind einen guten und auf Dauer sicheren Platz hat und ob es in ihrem Herzen schon Raum für das kommende Kind gibt. Jedes Kind, das verstorbene und das kommende, braucht seinen ganz eigenen und als besonders ausgezeichneten Platz. Für das kommende Kind ist das sehr wichtig, soll es nicht nur Ersatz für das erste Kind sein. Das kommende Kind hat seine eigene Berechtigung und Bedeutung und
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