Meine Trauer geht - und du bleibst
abverlangt hat und Ihnen abverlangt.
Trauernde: Genau, es gibt nichts auf dieser Welt, was den Tod oder eigentlich das Leben meiner Tochter wert wäre.
Trauerbegleiter: Und in diesem Sinne hat der Tod Ihrer Tochter keinen Sinn, auch wenn der Tod eine Entwicklung in Ihnen angestoßen hat. Doch diese Entwicklung kam letztlich aus Ihnen, als Reaktion von Ihnen, ja als Gegenreaktion »gegen« den Tod ihrer Tochter – und natürlich als Reaktion Ihrer Liebe.
Dein Tod stößt eine Entwicklung in mir an – und du stimmst dem zu
Zunächst bewirkt der Tod eines geliebten Menschen im Trauernden nur einen Stillstand. In der Anfangszeit der Trauer gibt es kaum eine eigene psychische Entwicklung, jedenfalls nicht die, die ohne den Verlust zu erwarten und zu erhoffen gewesen wäre. Alles ist mit dem Augenblick des Todes »eingefroren«, alles richtet sich auf den Schmerz und die Trauer aus. Es geht nur um das Überleben und das Funktionieren, nicht um eine psychische Entwicklung.
Wenn wir uns nach längerer Zeit der Trauer bewusst für uns und unser Leben entscheiden, dann kommt die Lebensenergie wieder ins Fließen. Der Tod des geliebten Menschen bleibt in unserem Lebensfluss ein Hindernis, aber der Fluss unserer in Bewegung gekommenen Lebensenergie sucht sich neue Wege. Und nun kommt eine doppelte Entwicklung in Gang, eine ganz normale Entwicklung, die jeder in Laufe seines Älterwerdens erlebt, aber auch eine ganz besondere: Das Hindernis des Todes und des Verlustes fordert genau an dieser Stelle ein ganz eigene Entwicklung, die durch die Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Verlust entsteht. Vielleicht entdeckt der Trauernde, dass das Leben sehr kostbar geworden ist und er deshalb aufgeschobene Vorhaben jetzt in Angriff nimmt. Ein Sechzigjähriger gibt nach dem tödlichen Unfall seiner zwanzigjährigen Tochter seine gut dotierte Stelle auf. Ich selbst habe nach einiger Zeit schwerster Trauer und Niedergeschlagenheit in mir die Herausforderung gespürt, mich nicht nur persönlich, sondern auch theoretisch mit der Psychologie der Trauer zu beschäftigen. Das war und ist für mich eine Möglichkeit der Trauerbewältigung, die in mir selbst wieder Lebensmut geweckt hat und bei der ich einen neuen Traueransatz entwickeln konnte.
Zuerst habe ich mich gegen neue Entwicklungen in mir gewehrt. Wäre das eigene Weitergehen nicht auch ein Verrat an meinem Sohn? Dann habe ich verstanden, dass das Neue in mir aus meinem Inneren entstehen will und dass mein Sohn es zustimmend begrüßt. Er will sehen, wie sein Vater wieder lebendig wird, wie er im Neuen sich selbst wieder findet und wie er in seinen Entwicklungen wächst.
Und immer wird dein Tod sinnlos bleiben – und ich muss auch keinen Sinn suchen
Hat der Tod meines geliebten Menschen einen Sinn? Ich persönlich sage dazu ein klares »Nein«. Der Tod meines Sohnes bleibt für mich sinnlos, ich verstehe ihn nicht, ich will ihn nicht mit einem Sinn versehen – auch heute nicht, sechs Jahre nach dem Tod meines Sohnes. Natürlich hat der Tod meines Sohnes in mir Entwicklungen hervorgebracht, die ich ohne seinen Tod nicht gemacht hätte – und doch hätte ich gerne darauf verzichtet, würde nur mein Sohn noch leben. Nie und nimmer wiegt das Neue in mir den Verlust meines Sohnes auf, kein Gewinn und kein wie immer gearteter Sinn. Es gibt nichts, wofür mein Sohn hätte sterben sollen und müssen. Nichts ist wertvoll genug, als dass sein Tod auch nur annähernd dadurch gerechtfertigt wäre.
Der Sinn, der uns von unserem geliebten Mensch geschenkt war, ist nach dessen Tod durch keinen anderen Sinn zu ersetzen. Natürlich zahle ich dafür einen anderen Preis: Ich muss die Sinnlosigkeit aushalten. Aber das ist mir die Einzigartigkeit meines Sohnes, die durch nichts aufzuwiegen ist, auch wert.
Es gibt sicherlich andere Situationen, in denen Hinterbliebene einen Sinn im Tod ihres geliebten Menschen entdecken. Vielleicht macht ein Tod nach langer Erkrankung oder Leiden am Leben seinen Sinn, weil er dann so etwas wie eine »Erlösung« ist. Vielleicht stimmt für einen Menschen und sein Leben, dass er sich für einen Suizid entscheidet. Viele gläubige Menschen können sagen, dass im Tod des geliebten Menschen ein Sinn liegt, den sie selbst noch nicht verstehen. Gottes Weisheit, die in seinen Plänen noch verborgen ist, ist höher als menschliche Vernunft und Rationalität. Für andere wieder ist der Glaube durch den Verlust zunächst erschüttert und in Frage gestellt. Es erfordert
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