Meine Trauer geht - und du bleibst
Bühne unseres Lebens zu holen.
Du begleitest mich – und du tust das auf deine Weise
Der Verstorbene ist für die Hinterbliebenen nicht nur ein abstrakter innerer Teil, sondern häufig Gesprächspartner, Berater oder Begleiter. Am Beginn des Trauerweges ist er meist ganz direkter Gesprächspartner, mit dem der Trauernde alles bespricht. Eine sechzigjährige Frau, deren Mann vor einem Jahr verstarb, setzt sich ungern an das Steuer ihres Autos. Auf dem Beifahrersitz liegt noch immer die Mütze ihres Mannes. Wenn sie ins Auto einsteigt, blickt sie auf den Beifahrersitz und fühlt sich sicherer. Wenn siebeim Autofahren in schwierige Situationen gerät, fühlt sie sich von ihrem Mann unterstützt.
Wie für diese Frau bleibt der Verstorbene für manche Hinterbliebene in dieser Weise ein konkreter Begleiter und Gesprächspartner. Bei den meisten Hinterbliebenen verändert sich dies allmählich.
Aus dem lauten Dialog wird ein leiser innerer Dialog, oft auch ein inneres Verstehen und Einverständnis ohne Worte mit dem Verstorbenen. Der konkrete Begleiter wird zu einem Gefühl des Begleitetseins, das mich stärkt. Der unmittelbare Berater oder die Beraterin wird häufig zu einem Gefühl von hilfreicher Nähe, in dem ich mich von meinem geliebten Menschen getragen und unterstützt fühle. Für manche Hinterbliebene wird der Verstorbene zu einer Kraft- und Energiequelle, in der ihnen der geliebte Mensch indirekt nahe ist. Für andere Hinterbliebene wird der Verstorbene zunehmend zu einem geistigen Wesen, einem Engel vergleichbar. Ein Vater erlebt diese Wandlung seines verstorbenen Sohnes in einem Traum, in dem er seinen Sohn in goldenes Licht getaucht sieht und dieser mit einer überirdisch klingenden Stimme singt.
Im Verlauf des Trauerweges entwickelt sich also sehr häufig aus dem konkreten Gegenüber des Verstorbenen eine symbolische oder geistige Gestalt. Diese wird nicht mehr als konkretes Bild gesehen, sondern als intensives Gefühl von Präsenz oder als Energiefluss erlebt. Oft wird dieser nun sehr integrierte, anverwandelte Verstorbene als inneres Licht, als Erfahrung von Wärme oder als Leuchten beschrieben.
Dieser Entwicklungsprozess vom konkreten Gegenüber zu einem inneren, fast schon abstrakt zu nennenden Prinzip verläuft nicht zwangsläufig. Wir sollten dies auch nicht willentlich anstreben. Schon gar nicht sollten wir dies bewerten, als wäre die Erfahrung eines konkret erlebbaren Gegenübers besser oder schlechter als die Erfahrung des Verstorbenen als innere Kraftquelle. Es ist in Ordnung, wenn Hinterbliebene ihren Verstorbenen weiterhin als konkretes Gegenüber erleben. Auch Menschen, für die ihr geliebter Mensch zu einer inneren Energiequelle geworden ist, besitzen weiterhin das Bild von ihrem ganz individuellen, konkreten Menschen.
Wie immer sich unser geliebter Verstorbener in unserem Inneren entwickelt, er wird sich so entwickeln, wie es für ihn und unsere Beziehung stimmt. Wir können und dürfen den geliebten Menschen in uns nicht selbst »machen«. Er wird sich auf seine Weise bei uns einstellen und sich in uns und uns gegenüber entwickeln.
Machen Sie sich immer wieder bewusst, dass Ihr geliebter Mensch zu Ihrer Lebensgeschichte gehört, dass er Sie geprägt und mitgeformt hat. So hat er unauslöschliche Spuren in Ihnen hinterlassen. In welchen Spuren ist Ihr geliebter Mensch in Ihnen präsent?
Stellen Sie sich Ihre Persönlichkeit als ein Haus vor. In diesem Haus gibt es verschiedene Stockwerke und Zimmer, in denen bestimmte Aspekte oder Anteile von Ihnen »wohnen«. Dann überlegen Sie, wie und wo Ihr geliebter Mensch in diesem Haus vorkommt. Bewohnt er ein besonderes Zimmer? Wie sieht dieses Zimmer aus? Haben Sie Zugang zu diesem Zimmer?
Spüren Sie immer wieder in Ihren Körper hinein und machen Sie sich bewusst, dass Ihr geliebter Mensch hier als Teil von Ihnen präsent ist. An welcher Körperstelle ist er bei Ihnen verkörpert oder berührt er Sie immer wieder?
Prüfen Sie, welche Eigenschaft, welche Fähigkeit und welche Energie Ihres geliebten Menschen zu einem Teil von Ihnen geworden sind. Vergegenwärtigen Sie sich diese Seite Ihres geliebten Menschen, die zu einem As- pekt von Ihnen geworden ist, und sagen Sie ihm zum Beispiel: »Dein Lachen ist zu meinem Lachen geworden. Ich danke dir dafür.«
Spüren Sie Ihren geliebten Menschen, so wie er sich Ihnen zeigt: Er kann Ihnen als konkretes Gegenüber begegnen, mit dem Sie reden wollen, oder er kann als innere Kraft- und
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