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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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nickt, weist auf die leere Stelle.
    Nur ein Mauerrest zeugt davon, daß hier einst ein Haus stand. Es wurde von den Nazis zerstört.
    Die gespannte Erwartung verfliegt. Dies ist der Ort, an dem er gelebt hat, ich lege meine Hand auf die Mauer, um ein Verhältnis zu ihr herzustellen. Ich empfinde nichts. Mir wird bewußt, wie groß der Abstand geworden ist. 
    Lange steht sie da und versucht, sich von ihren Erwartungen zu befreien. Das Haus hätte wenigstens die Illusion einer Begegnung geschaffen. Sie meint, sie hätte seine Anwesenheit gespürt, hätte hineingehen können wie in eine andere Zeit, hätte die Zimmer sehen, die Atmosphäre erspüren können, hätte körperlich die Enge gefühlt, wie sie alle auf dem Boden auf ihren sechs Strohmatratzen lagen.
    Sie lernt nichts aus diesem Fehlschlag, sondern setzt all ihre Hoffnung auf das Haus in Birkenau.
    Wir nehmen die Straße bergab. Hier ist er entlanggegangen, den Beutel mit den Schulsachen über der Schulter. Hier begann sein Heimweg von der Schule in Auschwitz nach Birkenau, als die Familie nach Birkenau gezogen war, weil die Wohnung dort billiger war.
    Der Erste Weltkrieg. Ja, davon will ich was wissen. Was ist hier passiert?
    Wir haben kaum Quellen, was hier im Ersten Weltkrieg geschah, sagt Paweł. Soviel steht fest: Die Menschen in Auschwitz waren weder politisch darauf vorbereitet, noch besaßen sie Waffen. Wie der Zweite, so hat auch der Erste Weltkrieg die Juden in Auschwitz überrascht. Am Ende des Krieges gab es die österreichische Regierung nicht mehr, die Macht wurde von den Polen übernommen. Eine in jeder Hinsicht vollkommen neue Situation, die die Juden wirtschaftlich wie kulturell beflügelte. Für rund zwanzig Jahre.
    Umkämpfte Flüsse: Weichsel und Soła. Hinunter also zur
Brücke über die Soła, am 3. September 1939 von der polnischen Abwehr so heftig umkämpft, daß Himmler am Vorabend die Einsatzgruppe z.b.V. (zur besonderen Verwendung), eine mörderische Truppe, die polnische Intellektuelle ausrottete und Juden erschlug, telegraphisch ins oberschlesische Industrierevier anforderte. Doch es gelang dem polnischen Regiment, die Brücke über die Soła zu sprengen. So mußten die Deutschen erst eine hölzerne, provisorische Brücke bauen, ehe sie die Stadt einnehmen konnten.
    Unweit der Brücke steht ein kleines, altes Haus, vielleicht ist es noch das Haus von Großvaters Onkel Bernhard, wo er in seiner wenigen Freizeit einen »armseligen Teil« seiner Kinderjahre, in dem er einmal nicht schuften mußte, »träumend und spielend und immer lernend« zugebracht hatte. Auf der kleinen Insel im Fluß war Großvaters Badeplatz, hier traf er sich mit seinen Geschwistern. Später verbot die SS den Juden, in der Soła und der Weichsel zu baden. Nur eine von den kleinen, alltäglichen Diskriminierungen, Verboten und Erlässen, die schließlich in Auschwitz mündeten. Ich erzähle Paweł vom bestechend simplen, aber wirkungsvollen Denkmal in Berlin-Schöneberg, von Straßenschildern, auf einer Seite mit einfachen, heiteren Bildern bedruckt, die Gemüse, eine Katze, eine Kanne Milch zeigen, auf der anderen Seite die Nazi-Befehle: Juden ist verboten, Gemüse anzubauen, Juden ist verboten, Haustiere zu halten, Juden ist verboten, Milch zu kaufen, etcetera, mit genauem Datum des Erlasses. Eine quälende Litanei, die uns durch die Straßen führt und deren Direktheit mich trifft.
    Im August 1939, als die Deutschen in Auschwitz Schützengräben aushoben, sagt Paweł, beteiligten sich noch viele Juden. Kooperation mit ihren Mördern. Obwohl man vor
bereitet war, kam der Angriff der Deutschen überraschend, und als am 1. September im Morgengrauen die ersten Flugzeuge auftauchten, hielt man es noch für Übungen des Luftschutzes. Bis die ersten Bomben fielen, und der Horror begann.
    Ein Pferdewagen mit Kohlen fährt auf der Landstraße, ein seltener Anblick. Das Pferd hat einen wuchtigen Hintern mit grauem Schweif und lahmt. Auf Pferdewagen und zu Fuß flüchteten die Juden am ersten Tag des Zweiten Weltkriegs vor dem Beschuß der Luftwaffe, erzählt Paweł, sie zogen nach Krakau, weiter nach Lemberg und zur rumänischen oder polnisch-sowjetischen Grenze. Die in Krakau geblieben waren und merkten, daß der Terror sie auch dort erreichte, nahmen entkräftet den Weg wieder zurück, als die

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