Meine Väter
Wehrmacht einmarschierte. Noch waren sie voll Hoffnung, zu Hause sei es besser â sie liefen ins Verderben.
Im Oktober 1939 wurde OÅwiÄcim â Auschwitz, wie es von nun an hieà â ins Reich eingegliedert, und die Wehrmacht übergab die Stadt der deutschen Zivilverwaltung. Man raubte die Juden aus und schaffte alles weg, was auf die bereitgestellten Wagen ging, löste das Vermögen der Juden auf. Dann setzte der Terror der antijüdischen Gesetzgebung ein. SchluÃphase der »Endlösung« im deutsch besetzten Polen: die »Judenjagd«. Man suchte in den entleerten Ghettos, in den Wäldern, veranstaltete regelrechte Treibjagden.
Die SoÅa, grüngrau flieÃt sie dahin. Wunderbar still und leicht trägt sie ihr Wasser durch die Wiesen, an kargen Häusern vorbei, ab und zu von verkrüppelten Bäumen durchschnitten.
Damals trug sie den Tod.
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9. Der Schulweg
Wir gehen von Auschwitz nach Birkenau, vorbei an Baracken, Wachtürmen, dem Aschesee. Widerstrebend folge ich dem Schulweg. Da ist er gegangen, jeden Tag. Und ausgerechnet diesen Weg muÃten die KZ -Häftlinge nehmen, vom Stammlager Auschwitz zum Lager in Birkenau mit seinen Verbrennungsöfen.
Sechs Kilometer hat der GroÃvater täglich zurückgelegt, drei hin und drei zurück, bis zum Ende der Volksschule.
Ein seltsames Gefühl. Meine FüÃe berühren den Boden, den er berührte. Und die Todgeweihten.
Später hat mein GroÃvater den Boden nie mehr betreten.
Mir ist, als müÃte ich mich durch die Vergangenheit graben, durch den rhetorischen Matsch, der alles überdeckt.
Damals, als der GroÃvater den Weg nahm, gab es hier Wald, jetzt wachsen nur noch spärlich Bäume. Kaum ein Laut ist zu hören, und die Oberfläche der SoÅa scheint wie aus Glas geblasen. Schneematsch, kniehoch. Ich springe über das Brett, das man über ein Rinnsal gelegt hat, ein junger Mann in einer Schaffelljacke mit krausem Haar kreuzt meinen Weg. Der muffige Geruch des feuchten Fells begleitet uns ein paar Schritte.
Die Selbstverständlichkeit, mit der PaweŠmeine Wege mit mir geht, berührt mich, und ich sage ihm, wie schön es ist, daà er mich begleitet.
Ein Eichhörnchen huscht den Stamm einer Kiefer hoch. In der Ferne weint ein Kind. Eine Rauchschwade über Birkenau schwebt durch die fahle Sonne.
Die Verbrechen, die geschahen, ändern nichts daran, daà die Gegend um Auschwitz ein friedliches Paradies sein kann.
Wir gehen über die Gleise am Bahnhof vorbei, eine Art Glas-Plattenbau mit rechts und links angepfropften Betonteilen, davor eine Hähnchenbraterei. Der altösterreichische Bahnhof, von dem aus der GroÃvater nach Wien und Berlin gefahren ist und über den die Juden ins Lager weitergeleitet worden sind, ist zerstört.
Der groÃe Torbogen, durch den die Transporte der Todgeweihten fuhren. Gleise, Wachtürme, am Ende Schrottlager, die OMAG -Werke und Laubenkolonien. Ein Teil des alten Brzezinka, Birkenau, neu bebaut. Ein paar einfache Villen hier und da, über der Asche der Toten errichtet. Kubische Hausbauten ohne sichtbare Dächer. Zimmer mit Aussicht: mit Blick auf das Vernichtungslager, das man bis hin zum Bahnhof überblicken kann. Günstiges Bauland, klar. Hier zu wohnen geht nur mit verharmlosendem Blick. Mit Neubauten werden Abgründe zugedeckt.
Backsteinhäuser. Ich schiebe den Gedanken rasch beiseite, ob der Backstein vielleicht aus eingestürzten KZ -Lagerbauten stammt.
Häuser, nach 1945 erbaut. Ich halte Ausschau nach einem alten Haus, in dem mein GroÃvater gewohnt haben könnte. Nichts.
Ein Hund bellt. Vom Garten eines Hauses steigt Rauch auf.
Wir gehen ein Stück zurück und nehmen den Eingang am Turm vorbei zum Lager Auschwitz-Birkenau, Ort der Vernichtungsmaschinerie. Tatsächlich ein paar Birken im Nieselnebel. Mooriger Schneematsch, das Dreckwasser quietscht in den Stiefeln. Kalter Wind. Eine unheimliche Stille. Nur eine kleine Gruppe von drei Menschen stapft durch den Schnee.
Weg, nichts wie weg.
Schweigen.
Mich beschäftigt der Gedanke, ob es sich Deutschland mit der Errichtung von Denkmälern nicht allzu bequem macht. Antisemitische Ausschreitungen werden damit nicht verhindert.
Und das trotz der Gegenwärtigkeit der Lager.
Macht es denn Sinn, der Vergangenheit zu gedenken, ohne den Bezug zur Gegenwart herzustellen?
PaweÅ fragt einen alten
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