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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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weiß,
daß das Maß an Lebensfreude, das ich je besaß, durch die Erfahrungen der dreißiger und vierziger Jahre, vor allem eben durch den Judenmord, sehr stark reduziert wurde und immer reduziert bleiben wird. Diese Hypothek auf mein Leben werde ich nicht mehr los.«
    Während des Krieges wurde der Friedhof von den Nazis geschändet und in ein Bunkergelände umgewandelt. Mit Luftschutzraum. Ein Teil der Grabsteine wurde in die Soła geschmissen oder am Ufer abgelegt.
    Sie hinterließen eine Spur der Zerstörung, selbst die Totenruhe war ihnen nicht heilig. Das Mauerwerk wurde abgetragen. Der Friedhof verwüstet. Die Besatzer fuhren mit ihren Pferdewagen über die Grabsteine zur Tränke. Im Straßenpflaster wurden Grabsteine gefunden, auf der Straße zu den Buna-Werken, viele am Platz der zerstörten großen Synagoge, zum Abtransport bereitgestellt. Nach dem Krieg erhielten die Angehörigen die Steine zurück und stellten sie wieder auf.
    In den sechziger Jahren, als man mit dem Bau eines neuen Stadtviertels begonnen hatte, war der Friedhof erneut bedroht. Die Stadtväter wollten den Friedhof auflassen und dort ein Wohnviertel errichten, stießen jedoch auf heftige Proteste.
    Die Verarmung des Todes im Kommunismus. Man behauptete, in besseren Zeiten zu leben, Erinnerung war unerwünscht. Pflege von Herkunft und Tradition wurden vernachlässigt: Man ließ die alten Gräber verkommen. Die Friedhöfe seelenlos, die Kapellen ruinös. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes wurde der gesamte jüdische Friedhof im Jahr 2004 restauriert.
    Hier ruhen die Toten vor Auschwitz, Menschen, die noch eines natürlichen Todes sterben durften und die von den
Leiden ihrer Kinder und Kindeskinder, die nie begraben wurden, nichts wissen konnten.
    Plötzlich singen die Vögel, Schnee fällt von den Bäumen und meine Großmutter Else von Lossow taucht auf, sie ist in der Welt der Toten zu Hause. Summend flattert sie über den Gräbern. Ich bin viel auf Friedhöfen mit ihr gewesen und habe mich immer über ihre Heiterkeit gewundert. Als sei sie froh gewesen, bald ihren Geist los zu sein.
    Unvergeßliche Besuche bei schweigenden Menschen. Sie nahm Brotzeit mit, immer bestand sie auf ihrer Regensburger und Bier. Krähenschreie, Engelsfittiche, Wachs- und Biergeruch.
    Was hast du hier verloren? Was suchst du?
    Ein Leben, sage ich. Seinen Ursprung. Seinen Weg.
    Auf dem Friedhof bist du richtig, wenn du Leben suchst.
    Oświęcim – eine Stadt der Geister, deren Straßen und Häuser die Toten mit sich führen. Ich habe sie nicht gerufen, aber sie kommen.
    Strenge Gräber ohne Pflanzenschmuck. Unsere Gräber betonen die Fortdauer des Lebendigen: kleine Gärten, die etwas Heimeliges haben. Jüdische Gräber bewegen sich hin zur Erde.
    Ich gehe von Grab zu Grab und enträtsele mit Pawełs Hilfe die Symbole. Krone: Symbol des guten Namens. Traube: Sinnbild des fruchtbaren Israel. Segnende Hände: das Grab eines Rabbis. Der Schmetterling: die Flüchtigkeit des Lebens. Für Kinder steht eine gebrochene Blume. Die zwei Sabbatleuchter: die fromme Hausfrau. Schnäbelnde Tauben: inniges Familienleben. Außerdem jede Menge Berufssymbole.
    Ich phantasiere mit den Namen, die ihre Klangfarben und Bedeutungen nicht verloren haben. Safranfarbene, veil
chenfarbene, rosenfarbene Namen, die von Mandeln, Feldern, Blumen, Wein, Bergen, Rosen, Tieren und Steinen handeln. Paweł übersetzt mir die Namen aus der hebräischen Schrift. Mandelbaum, Buksbaum, Eichenbaum, Granatenstein, Silberbaum, Hirschspring, Zimetbaum, Goldwasser, Faigenbaum. Mehrere Tote mit Namen Bronner. Sala Sara Bronner, Salomon Bronner. Ich entdecke den Namen Schmelz, der Mann lebte zu Großvaters Zeit. Aha, denke ich, deshalb sein erstes Bühnenstück Schmelz, der Nibelunge.
    Das polnische Land ist voll unentdeckter Gräber, hat mir der Berliner Eckehart Ruthenberg erzählt. Ein einziger Friedhof. Er durchmißt mit dem Spaten das Land, gräbt die Stelen aus und reinigt sie. Das Wort Sühne will er nicht hören.
    Auf einem jüdischen Friedhof wäre meine Großmutter nicht willkommen gewesen. Hier darf man nicht essen, nicht trinken. Das im Gras versunkene Grab darf nicht mehr geöffnet werden.
    Auf Ewigkeit angelegt. Das Grab für alle Zeiten Eigentum des Toten. Kleine Steine auf den Grabsteinen, auf manchen verwelkte Blumen. Der

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