Meine Väter
wenn.
Resultat: Ein Leben, das hier geendet hätte, hat er nicht geführt.
Das KZ Auschwitz hat mit ihrem GroÃvater nichts zu tun.
Das Archiv der Stadt Auschwitz, eine Filiale des Staatsarchivs, liegt auf dem Gelände des Konzentrationslagers. Die Dokumente landeten dort, als es in der Nachkriegszeit an entsprechenden Räumen mangelte und man sich sicher war, daà Auschwitz für ewige Zeiten ein Museum und Dokumentationszentrum bleiben würde. Früher waren diese Dokumente auf verschiedene Orte â Auschwitz, Bielitz, Kattowitz â verteilt.
Die Entscheidung für das Museum ist akzeptabel, sagt PaweÅ, da die seitlichen Blocks, wo die beiden Archive
sich jetzt befinden, zum Teil von der Lagerverwaltung genutzt wurden und damit nicht die eigentlichen Orte des Martyriums waren.
Immer noch kommen Menschen wie ich hierher, die etwas über ihre Verwandten wissen wollen.
Die wenigen Quellen, die ich mir erschlossen habe, offenbaren ein Durcheinander. Ich möchte wissen, wie Ferdinand Bronner bei seiner Geburt hieÃ. Ohne Namen ist der Zugang versperrt. Der ursprüngliche Name gibt mir eine Vorstellung von seiner Person, davon bin ich überzeugt.
Der freundliche Archivdirektor, der mit seinem schwarzen, adrett gestutzten Bärtchen aussieht wie ein kakanischer Offizier, öffnet uns, obwohl das Archiv an diesem Tag geschlossen ist. Dunkle, freundliche Augen blitzen unter glattem, pechschwarzem, wohlgeschnittenem Haar. Schlanke, lange Finger, die elegant eine Zigarette halten. PaweŠwechselt mit ihm ein paar freundliche Worte, der Direktor bittet uns hinein. Er holt einen Fragebogen und füllt ihn nach unseren Angaben aus. Ich gebe Ferdinand Bronner und sein Geburtsdatum an.
Der Direktor verschwindet im Nebenraum und kehrt mit bedauernder Geste zurück. Einen Ferdinand Bronner gibt es nicht.
Also müssen wir nach dem Geburtsdatum vorgehen. Er bringt uns eine Vielzahl riesiger, vergilbter Akten des Katasteramtes von Auschwitz, in steiler deutscher Schrift mit hohen Ober- und Unterlängen verfaÃt. Kataster miejski. Der Stadtkataster. Ich danke lächelnd, und wir schlagen die Bände auf. Der Geruch alten brüchigen Papiers. Die bräunliche Tintenschrift: schmale, hochgezogene Buchstaben. Ich blättere Seite für Seite um.
PaweŠübersetzt. Vergessene Berufe. Kleine Etappen auf
der gesellschaftlichen Stufenleiter. Menschen, die mein GroÃvater vielleicht kannte, vielleicht auch nicht. Seine Zeitgenossen.
Geburt, Eltern, Ehegatten, Kinder, Religion, Steuerklasse, Tod. Die Säulen der alten Welt.
Eine verlorene Welt.
Die Geschichte der Stadt Auschwitz ab 1800. Die Geschichte von Not und Kriegen. Die Ordnung einer Stadt, die hundertvierzig Jahre später vor der Auflösung stand.
Namen. Das ist alles, was vom Auschwitz meines GroÃvaters übrigblieb. Der Name Bronner taucht wiederholt auf, einige auf dem Friedhof begraben, andere ermordet. Netti Bronner, in Auschwitz ermordet. Wir finden den GroÃvater und UrgroÃvater von Gerhard und Oscar Bronner, offenbar Verwandte, den 1849 geborenen Kaufmann Leib Bronner und den 1885 geborenen Jakob Hirsch Bronner. Unauffindbar Osias oder Oskar Bronner, wie mein GroÃvater seinen Vater nennt. Kein Ferdinand weit und breit. Sofort drängt sich mir der Gedanke auf, daà das Versteckspiel bereits mit der Geburt beginnt.
Der Archivar murmelt etwas Unverständliches, schultert einen Teil der Akten und stöÃt die Tür mit dem Fuà auf. Kommt zurück, zuckt mit den Schultern und breitet bedauernd die Arme aus. Ich schüttele trotzig den Kopf und beharre auf seiner Existenz. Er hat gelebt und zwar hier!
Es wurde auch der Name Froim Fischel oder Feivel in einem Artikel erwähnt. Der Archivar sucht und kehrt abermals bedauernd zurück.
PaweŠwirft einen Blick hinaus auf die Lagerbauten und die im Sonnenlicht funkelnden, eisüberzogenen Pappeln. Nachdenklich tritt er ans Fenster und klopft gedankenverloren auf den Rahmen, schlägt sich plötzlich mit den
Fingerknöcheln an die Stirn. Ruft etwas auf polnisch. Der Archivar nickt dreimal, verläÃt hastig den Raum und kehrt mit neuen Akten zurück.
Die Akten der Wehrpflichtigen. Lista popisowych.
Die Einberufungsbefehle.
Das Militär vergiÃt niemanden, sagt PaweÅ.
Er blättert in dem sperrigen Konvolut. Gespannt blicke ich ihm über die Schulter. Nach zehn Minuten hält er inne, grinst und
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